Die Haut ist das größte Organ unseres Körpers. Sie ist eng verbunden mit dem Tastsinn - der wiederum der wichtigste unserer fünf Sinne ist. Bereits vom Säuglingsalter an erleben wir die Welt im wahrsten Sinne über die Haut. Eine Tatsache, deren wir uns in vielen Situation allerdings gar nicht mehr bewusst sind.......

Yogatherapie

Stell Dir vor....

Es ist einer dieser wunderbar sonnigen und klaren Herbsttage, an denen der Himmel förmlich zu leuchten scheint. Du bist mit einer Freundin in einem Café verabredet und beschließt, mit dem Rad dorthin zu fahren, um die herrlich frische Luft zu genießen. Als Du losfährst, zaubert Dir die Sonne ein Lächeln auf Dein Gesicht, Du genießt die Wärme und das helle Licht. Kurze Zeit später stellst Du jedoch fest, dass es doch kälter ist als gedacht und Du Deine Handschuhe vergessen hast. Deine Finger sind inzwischen eiskalt und fangen an, sich um den Lenker zu verkrampfen. Die gerade noch so große Begeisterung für das Radfahren nimmt rapide ab und Du beginnst, so kräftig wie möglich in die Pedale zu treten, um auf dem schnellsten Weg ins Café und damit zurück in die Wärme zu kommen. Als Du im Café ankommst, siehst Du, dass Deine Freundin bereits da ist. Sie steht auf und begrüßt Dich mit einer herzlichen Umarmung – und Dein Ärger über die Kälte und die einsetzende schlechte Stimmung sind von einem Moment auf den anderen wie weggeblasen.

Kommt Dir diese Situation bekannt vor? Vielleicht hast Du selbst schon einmal etwas Ähnliches erlebt. Unter Umständen ist Dir dabei aber nicht wirklich bewusst geworden, was genau in solchen Momenten geschieht und welche Rolle vor allem unsere Haut dabei spielt. Mit anderen Worten: wie letztendlich die Haut beeinflusst, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen und dass sie sogar einen Einfluss auf unsere Stimmung haben kann.

Unsere Haut und die Wirkung von Berührungen

Die Haut ist das größte Organ unseres Körpers. Sie ist eng verbunden mit dem Tastsinn, der wiederum der wichtigste unserer fünf Sinne ist. Die offensichtlichste Aufgabe der Haut besteht darin, unsere Organe, Knochen und Muskeln von der Außenwelt abzugrenzen. Gleichzeitig übernimmt die Haut eine Reihe von Schutzfunktionen. Sie verhindert beispielsweise, dass Mikroorganismen und Toxine in unseren Körper eindringen, reguliert die Temperatur und registriert Wahrnehmungen wie Hitze und Kälte, Schmerz oder den Kontakt mit einem Gegenstand und gibt diese Informationen entsprechend weiter.

Bei unserer kleinen Geschichte über die Radtour zum Café ist die Haut der erste Kontaktpunkt mit der Sonne, der kalten Luft und schließlich der warmen Umarmung unserer Freundin. Durch ihre Verbindung mit dem Nervensystem interagiert die Haut mit dem muskuloskelettalen System und ermöglicht auf diese Weise nicht nur Bewegung an sich, sondern auch ein Bewusstsein dafür, wo sich unser Körper im Raum befindet.

Auch wenn wir uns dessen oft nicht wirklich bewusst sind, registriert die Haut zudem, wie die Knochen ausgerichtet sind und wo unsere Muskeln an den Knochen ansetzen. So können wir beispielsweise den Fahrradlenker fester greifen, aufrecht auf dem Sattel sitzen (oder in uns zusammensinken) und die Arme heben, um jemanden mit einer Umarmung zu begrüßen.

 Auf der emotionalen Ebene spielt die Wahrnehmung von Berührungen ebenfalls eine große Rolle und der Körper reagiert mit einer entsprechenden Emotion. Diese wird stark von früheren Erfahrungen und Eindrücken beeinflusst. Das bedeutet etwa, dass wir fast automatisch beginnen zu lächeln, wenn das Sonnenlicht unser Gesicht berührt, genauso wie wir uns umgekehrt unwohl oder vielleicht sogar gestresst fühlen, wenn sich unsere Finger um den Lenker krampfen und beginnen, vor Kälte steif zu werden.

Inzwischen liegen sogar wissenschaftliche Studien vor, die belegen, dass das Maß des liebevollen Körperkontakts, den eine Person erhält, in direktem Verhältnis zu ihrem Verhalten und emotionalen Zustand sowie bei Kindern der emotionalen und körperlichen Entwicklung steht. Die freundschaftliche Umarmung zur Begrüßung ist somit für die Erhaltung unseres emotionalen wie physischen Wohlbefindens gleichermaßen wichtig. Der über die Haut gesteuerte Tastsinn erlaubt es uns dabei, unsere Umwelt wahrzunehmen und unseren Platz darin zu finden.  

Mit der Haut spüren

Wenn wir uns näher mit den Eigenschaften und Funktionsweisen der Haut beschäftigen, erkennen wir auch zunehmend die Verbindungen zum Yoga und unserer eigenen Praxis. Denn auf der einen Seite ist es so, dass die Haut schlichtweg ihre Aufgabe erfüllt und dabei vergleichsweise autonom arbeitet, wie beispielsweise auch das Atemsystem. Andererseits baut die Haut durch ihre Interaktion mit der Außenwelt und die Vielzahl an Informationen und Eindrücken, die sie über das Nervensystem an unser Unterbewusstsein weitergibt, über die Zeit hinweg einen enormen Informations- und Wissensspeicher auf. Vieles von dem, was wir über die Jahre hinweg durch die Haut erfahren haben, ist in unseren Körper eingeprägt und wir reagieren entsprechend, wenn die Erfahrung oder der Eindruck erneut auftritt. Das zeigt sich nicht zuletzt in unseren angelernten Verhaltensweisen, den Entscheidungen, die wir für unsere Lebensweise treffen, und einschneidenden Erlebnissen in unserem Leben bis hin zu Traumata.  

Achtsamkeitsaufgabe für den Monat November

Nachdem wir nun einige Zeit damit verbracht haben, uns darüber bewusst zu werden, wie Erfahrungen über die Haut transportiert werden, möchte ich Dir die Gelegenheit geben, dieses theoretische Wissen umzusetzen und für Dich selbst zu spüren. Zu diesem Zweck findest Du weiter unten eine Beobachtungsaufgabe, die sich auf Deine Haut, Berührung und die Verbindung zur Yogapraxis konzentriert. Wenn Du neugierig bist und Dich gerne auf dieses Experiment einlassen möchtest, schlage ich vor, dass Du diese Aufgabe einen kompletten Monat lang für Dich durchführst. In den darauffolgenden Monaten werde ich Dir jeweils eine neue Aufgabe anbieten, mit der Du Deine Wahrnehmung durch die Haut und den Tastsinn schärfen kannst.

Aufgabe 1: Erinnere Dich an die letzte Hilfestellung, die Du in einer Yoga-Stunde erhalten hast.

  •  War die Hilfestellung physisch, verlief sie also über eine Berührung, oder intellektuell, d. h. in Form einer verbalen Anweisung?   
  • Wenn es sich um eine Berührung gehandelt hat, wie hast Du diese wahrgenommen? Welche Punkte sind Dir im Gedächtnis geblieben (Wärme oder Kälte, Druck, Art der Berührung, also etwa beruhigend oder energetisierend)?
  •  Nimm Dir einen Moment Zeit und überlege, wie Dein Körper auf die Hilfestellung reagiert hat. Erfolgte die Reaktion „top down“, sprich vom Intellekt aus zum Körper oder wurde das intellektuelle Moment komplett ausgeblendet und Du hast einfach nur gefühlt?
  • Wie hätte sich die Wahrnehmung verändert, wenn die Hilfestellung ausschließlich verbal oder ausschließlich physisch gewesen wäre?  

Der erste Schritt besteht darin, eine gewisse Achtsamkeit dafür zu schaffen, was über die Haut und Berührungen konkret geschieht und welche Auswirkungen diese auf Deine Sinneswahrnehmung haben. Wenn Du Dich nicht mehr erinnern kannst, was Du beim letzten „hands on“ Adjustment gespürt hast – oder vielleicht ohnehin noch nie darauf geachtet hast – dann ist dies die perfekte Gelegenheit, von nun an bei der Praxis Deine Aufmerksamkeit stärker darauf zu lenken, was Du über Deine Haut wahrnimmst.

Deshalb lade ich Dich in diesem Monat dazu ein, Deiner Haut mehr Aufmerksamkeit zu schenken und nach Deiner Yogapraxis aufzuschreiben, was Du gespürt oder erlebt hast. Das können ein paar wenige Sätze oder einzelne Worte oder sogar auch nur ein Bild sein. Wenn Du Deine Erfahrungen über einen Monat hinweg festhältst, wirst Du rückblickend vielleicht überrascht sein, wie stark sich Deine Wahrnehmung im Verlauf der Zeit verändert hat und wie sich deine Empfindung was Berührung und Sinneseindrücke betrifft geschärft hat.

Meine persönlichen Erfahrungen mit der Kraft der Berührung

Ich habe mich sowohl als praktizierende Yogini als auch als Lehrerin intensiv damit auseinandergesetzt, welche enorme Rolle die Haut und über die Haut wahrgenommene Berührungen dabei spielen, wie wir uns selbst wahrnehmen und wie wir der Außenwelt gegenübertreten. Dabei habe ich folgende Erfahrung gemacht: Ich kann mir selbst oder einem Schüler natürlich sagen, dass er sich mehr aufrichten, gleichmäßig weiter atmen oder ein bestimmtes Körperteil heben soll. Dabei handelt es sich dann um eine Anleitung, die den Intellekt anspricht – und voraussetzt, dass dieser Mensch die Bewegung schon einmal mit seinem Körper ausgeführt hat und daher in der Lage ist, die Anweisung entsprechend umzusetzen.  

Aber: Wenn unsere Haut und unsere Wahrnehmung von bestimmten Berührung diese als Erfahrungen speichern, die eben nicht in eine – bzw. die gerade von mir beabsichtigte – Bewegung umgesetzt wurden: Wie soll es dann gelingen, dass der Körper dem intellektuellen „Befehl” folgt? Das gilt vor allem dann, wenn die Bewegung an sich in dieser Form noch nie ausgeführt wurde. Indem wir einerseits versuchen, uns selbst auszurichten, und andererseits Hilfestellungen von außen annehmen und so neue Impulse bekommen, können wir neue Körpererfahrungen erzeugen, die erst wahrgenommen und dann gespeichert werden. Wenn wir das regelmäßig praktizieren, entwickeln sich mit der Zeit neue Bewegungsmuster, die wir sozusagen von innen nach außen abrufen und umsetzen können. Manchmal gelingt es sogar, alte Erfahrungen durch neue zu ersetzen und auf diese Weise ein vollkommen neues Bewusstsein für eine bestimmte Körperregion zu erlangen.

In den nächsten Monaten werde ich deshalb eine Reihe kleiner Übungen anbieten, die Dir dabei helfen, das Bewusstsein für Deine Haut zu schärfen und zu erkennen, welche Rolle sie in Deiner Wahrnehmung spielt, sowohl auf der Matte als auch in alltäglichen Situationen. Ich möchte Dich dazu einladen, diese Übungen in Deine eigene Praxis zu integrieren, für Dich selbst auszuprobieren und dabei zu erfahren, wie Du über unterschiedliche Formen der Hilfestellung selbst neue Bewegungsmuster entwickelst. Wenn Du möchtest, kannst Du Deine Beobachtungen und Erfahrungen auch gerne teilen. Ich freue mich über jede Rückmeldung und werde mich bemühen, diese in der jeweils nächsten Übungssequenz zu berücksichtigen.

Bis bald auf der Matte!