... von wegen! Ein Workshop zum Mitmachen inklusive Sonnengruß. Alles, was Sie brauchen: ein Stuhl

Inspirationen für die Praxis

So war die Meinung von Hans. Hans ist 80 Jahre alt, das Altern brachte so einige körperliche Einschränkungen mit sich. Dennoch übt er nun voll Begeisterung einmal pro Woche im Kurs und fast täglich zu Hause. Den Weg zur Schule geht er zu Fuß. Für die kurze Strecke braucht er fast eine halbe Stunde. Es geht eben nicht mehr alles so schnell, wenn man älter ist, so sagt er. Aber Yoga tut ihm gut, darum kommt er regelmäßig jede Woche. Er spürt den deutlichen Gewinn an Lebensqualität jeden Tag und freut sich, an manchen Tagen fast keine Schmerzen zu haben. Dass er sich noch einmal so gut fühlt, hätte er nicht gedacht.

Jeder Mensch kann Yoga üben …

… betonte mein Lehrer, Pattabhi Jois, immer wieder. Die Aufgabe des*r Lehrers*in ist es für jeden* Schüler*in eine zu ihm*ihr passende Praxis maßzuschneidern. Diesen Auftrag nehme ich wörtlich. Ich bemühe mich immer wieder einen neuen Zugang zur Praxis anzubieten. Insbesondere möchte ich ältere und körperlich stark eingeschränkte Menschen von Yoga begeistern.

Wie wirkt Yoga für Senioren?

Viele ältere Menschen leiden unter mehreren gleichzeitig bestehenden körperlichen Beschwerden und Erkrankungen, sowohl aus dem orthopädischen wie dem internistischen Bereich. Oft ist eine Vielzahl an Medikamenten gegen ihre Leiden nötig. Viel Zeit verbringen sie in Arztpraxen. Wir können sagen, vieles in ihrem Leben dreht sich darum, was eben nicht mehr so wie früher geht. Mein Ansatz im Yoga legt den Fokus auf das genaue Gegenteil. Ich möchte aufzeigen, was noch möglich ist und dieses Potential fördern. So weise ich den Senioren einen Weg zu ganzheitlicher Gesundheit und Wohlbefinden.

Hereinspaziert! Begleiten Sie mich durch eine Yogastunde

Ich lege viel Wert darauf Übungen zu wählen, die auf eine angenehme Weise auch im hohen Alter praktiziert werden können. Denn nur was Freude macht, wird auch praktiziert. Der Weg auf den Boden wäre für die Teilnehmer*innen zu beschwerlich und teilweise auch schmerzhaft. Ich möchte, dass sie sich möglichst behände und agil fühlt und nicht hilflos auf den Boden plumpst. Daher beginnt meine Yogastunde auf dem Stuhl sitzend. Ich habe mich bewusst für einen ganz simplen Stuhl als Hilfsmittel entschieden. So mache ich es den Teilnehmern*innen leicht auch zu Hause zu üben. Dazu motiviere ich immer wieder, denn um die vorhandenen Möglichkeiten wirklich effektiv zu fördern und auch eine physische oder psychische Veränderung zu erreichen, ist vor allem eines notwendig: Die regelmäßige Praxis!

Sagen Sie Hallo zu sich!

Druckmassage

Begrüßen Sie als nächsten Schritt Ihre Muskeln. Legen Sie dazu, soweit es Ihnen möglich ist einen Fuß auf den anderen Oberschenkel und drücken ihn dreimal fest, aber gemächlich mit den Händen. Wandern Sie so je dreimal drückend Wade und Oberschenkel langsam nach oben. Ganz analog geben Sie als nächstes Ihren Händen und Armen eine angenehme Druckmassage (Bild 1.1 und 1.2).

Hintergrund: Die drückenden Bewegungen fördern den Abtransport von Gewebeflüssigkeit, verbessern den venösen Rückstrom zum Herzen und fördern allgemein die Durchblutung. Das tut vor allem älteren Menschen gut. Viele Senioren berichten mir, dass sie viel weniger Beinödeme haben seit sie Yoga üben. Wer von der Flexibilität nicht bis zum Fuß kommt, beginnt einfach an den Waden. Nach einiger Zeit verbessert sich jedoch oft die Flexibilität und der Fuß kann dann erreicht werden.

Der Gruß an die Sonne

Ausgangsposition: Achtsam stehen

Stehen Sie nun auf, drehen Sie sich um und stellen sich vor den Stuhl, mit den Beinen direkt an der Sitzfläche. Richten Sie Ihre Füße möglichst parallel zueinander aus. Wenn es Ihnen möglich ist, können sich dabei die Zehenballen berühren, die Fersen aber etwa zwei Fingerbreit Abstand behalten (Bild 2.0).

Hintergrund: Anfangs ist es meist unmöglich die Füße parallel und gleichmäßig zu platzieren, denn Körperwahrnehmung und Koordination nimmt im Alter ab. Doch lässt sie sich auch wieder verbessern. Ich lege stets viel Wert auf eine genaue Platzierung von Händen und Füßen. So ist schon nach einigen Stunden das Bewusstsein für die Stellung der Füße und Hände bei den Teilnehmern*innen deutlich gestiegen. Das mag nebensächlich erscheinen, doch führt die verbesserte Körperwahrnehmung im Gehirn zu einer neuronalen Bahnung. Neue Nervenverbindungen entstehen und gesunde Körperregionen werden bewusster wahrgenommen. Die Wahrnehmung von Schmerzen aus anderen Körperregionen wird so buchstäblich verdrängt.

Bewegung 1: Sich nach oben strecken

Heben Sie nun mit der nächsten Einatmung Ihre Arme seitlich, aber bogenförmig nach oben. Die Handflächen weisen dabei nach oben, während Sie den Ellenbogen eine Tendenz nach innen und vorne geben. Nutzen Sie das für Sie angenehme Bewegungsmaß komplett aus, bevor Sie die Bewegung von der Ausatmung wieder nach unten führen lassen. Wiederholen Sie diese mit dem Atem verbundene Bewegung einige Male. Beobachten Sie, wie sich Ihr Atem vertieft. Dabei ist es nebensächlich ob sie durch die Nase oder durch halb geschlossenen Mund atmen (Bild 2.1).

Hintergrund: Die Vertiefung der Atmung ist ein wichtiger Faktor im Yoga für Ältere. Denn je besser die Lunge belüftet ist, desto weniger wahrscheinlich entsteht eine Bronchitis oder Lungenentzündung. Da der Atem mit der Bewegung verbunden ist, verlängert und vertieft sich er sich ganz natürlich. Durch die Bewegung lockert sich der Atemraum. Auch das erleichtert ein tieferes Atmen.

Bewegung 2 und 3: Verneigen und aufrichten

Verneigen Sie sich mit der nächsten Ausatmung und fassen dabei zu den Seiten der Sitzfläche. Mit der nächsten Einatmung strecken Sie Ihren Rücken wieder. Behalten Sie dabei die Stuhlkanten fest im Griff (Bild 2.2 und 2.3)

Hintergrund: Im Laufe unseres Lebens zieht die Schwerkraft uns immer weiter zum Boden. Wir sinken im wahrsten Sinne in uns zusammen. Die Krümmung unserer Wirbelsäule nimmt zu, die Schultern hängen nach vorne und die Beine verkrümmen sich. Doch wir können der Schwerkraft unsere bewusste Aufrichtung entgegensetzen. Die gesamte Körperhaltung wird sich mit der Zeit verändern. Es fasziniert mich immer wieder, wie gut dieser allmähliche Prozess des Aufrichtens selbst in hohem Lebensalter noch in Gang gesetzt werden kann. Eine harmonischere und damit angenehmere Gelenkstellung ist das Resultat einer aufrechteren Körperhaltung.

Bewegung 4 und 5: Ärgerliche und glückliche Katze

Schreiten Sie nun mit der Ausatmung einen kleinen Schritt nach hinten. Ihre Füße sollten, erneut parallel und symmetrisch, etwa unter Ihren Hüften stehen. Runden Sie weiter ausatmend Ihren Rücken maximal, während die Einatmung Sie in ein Hohlkreuz führt. Achten Sie bei einigen Wiederholungen ärgerliche und glückliche Katze darauf, dass die Rundung und Wölbung möglichst gleichmäßig die gesamte Wirbelsäule in die eine Dynamik führt (Bild 2.4 und 2.5).

Hintergrund: Viele Senioren verbringen einen Großteil des Tages in einer sitzenden Position. Der Rücken ist dabei stets mehr oder minder nach vorne gekrümmt. Im Laufe der Zeit verliert er an Flexibilität und verhärtet in dieser Position zunehmend. Die Rückenmuskeln erstarren und verspannen in immer ein und derselben Haltung. Schmerzen im Rücken sind die Folge. Die mit dem Atem verbundene Bewegung zwischen ärgerlicher und glücklicher Katze ist ein effektives Mittel um wieder Beweglichkeit zu schaffen, die Muskeln zu aktivieren und gleichzeitig zu lockern. Eine einfache Bewegung, die dennoch enorm wirkungsvoll ein neues Wohlbefinden im Rücken erzeugt.

Bewegung 6 und 7: Diagonal zusammenziehen und ausstrecken

Stützen Sie die linke Hand mit der Ausatmung auf der Sitzfläche ab. Lösen Sie Ihre rechte Hand und linken Fuß vom Untergrund. Weiter ausatmend führen Sie Knie und Ellenbogen überkreuz zueinander. Einatmend strecken Sie sich diagonal mit der rechten Hand nach vorne, mit dem linken Bein nach hinten. Achten Sie dabei darauf, Ihren Daumen höher als den kleine Finger nach vorne zu führen. Wiederholen Sie auch diese Bewegungsfolge für einige ruhige und gleichmäßige Atemzüge (Bild 2.6 und 2.7).

Hintergrund: Vermutlich werden Sie beim Ausprobieren feststellen, wie schwer diese Übung ist. In der Tat kann kaum einer der Senioren diese Übung auf Anhieb. Die Übung ist für die Teilnehmer*innen eine anspruchsvolle Gleichgewichtsübung. Wer neu im Kurs ist beginnt erst nur das Bein zu bewegen, dann nur den Arm. Es folgt das koordinieren der Überkreuzbewegung, was durchaus eine Herausforderung ist.  Eine Herausforderung, die in positivem Sinne motiviert und sich zugleich lohnt. Die Teilnehmer*innen möchten die Bewegung erlernen und üben meist gleich nach der ersten Stunde zu Hause. Schnell verbessert sich so Gleichgewicht und Koordination. Für Senioren ist dies enorm wichtig, denn es hilft ihnen mögliche Stürze und damit verbundene Knochenbrüche im Alltag zu vermeiden: Sturzprophylaxe die Spaß macht!

Bewegung 8 bis 13: Weiter im Bewegungsfluss

Es geht auf bereits bekannten Wegen weiter. Kommen Sie mit der Ausatmung in eine ärgerliche Katze (Bewegung 4), einatmend in eine glückliche Katze (Bewegung 5). Über Ausatmung und Einatmung ziehen Sie sich dann erneut einige Male diagonal mit dem linken Ellenbogen und dem rechten Knie zusammen (Bewegung 6) und strecken sich aus (Bewegung 7). Noch einmal ausatmend (Bewegung 4) ärgerliche Katze und einatmend glückliche Katze (Bewegung 5).

Bewegung 14: Spielender Hund

Schreiten Sie mit der nächsten Ausatmung noch einmal weiter nach hinten. Halten Sie sich dabei mit beiden Händen an der Stuhlkante fest. Genießen Sie für etwa fünf Atemzüge wie sich Ihr Rücken langstreckt und eine angenehme Dehnung in den Beinrückseiten entsteht (Bild 2.14).

Hintergrund: Wie Sie merken, es wird dynamisch und durchaus anstrengend. Wie Studien belegen, ist nur eine dynamische Form der Yogapraxis ein effektives Training für das Herz-Kreislaufsystem. Weiter lehrt uns die Wissenschaft, dass ein dreimal pro Woche für gerade mal 30 Minuten ausgeführtes Herz-Kreislauftraining, die Wahrscheinlichkeit eines Herzinfarktes um ca. 30% reduziert. Die Studie bezieht sich auf Patienten*innen, die bereits einen Herzinfarkt erlitten hatten. Viele Teilnehmer*innen meines Seniorenkurses gehören in diese Gruppe. Das Herz gesund zu erhalten ist für mich daher einer der wichtigsten präventiven Aspekte. Wenn die Teilnehmer*innen schwitzen freue ich mich also.

Bewegung 15 - 17: Bewegungsfluss vervollständigen

Kommen Sie mit der nächsten Einatmung wieder ganz nach vorne zum Stuhl. Halten Sie dabei Ihre Arme gerade, den Blick nach vorne (siehe Bewegung 3). Neigen Sie sich mit der Ausatmung weit nach unten (siehe Bewegung 2). Beugen Sie bei der nächsten Einatmung Ihre Knie leicht an und richten Sie sich dann mit geradem Rücken wieder auf. Heben Sie gleichzeitig Ihre Arme seitlich nach oben (siehe Bewegung 1). Eine Ausatmung bringt Sie zurück zur Ausgangsposition. Von hier aus beginnt einatmend eine neue Runde des Grußes an die Sonne. Wiederholen Sie die Bewegungsfolge einige Male in Ihrem Atemrhythmus.

Hintergrund: Die hier beschriebene Bewegungsfolge ist für mich ein fester Bestandteil jeder Yogastunde. Es ist der im Ashtanga Yoga übliche Sonnengruß, hier in einer für Senioren angepassten Übungsausführung. Immer wieder die gleichen Übungen wiederholen, mag auf den ersten Blick langweilig klingen. Doch je öfter Sie eine Bewegungsfolge wiederholen, desto vertrauter werden Ihnen die Abläufe. Dann können Sie beginnen sich auf die Genauigkeit der Ausführung zu konzentrieren. Jedes Mal entdecken Sie so ein neues Detail und können mehr Achtsamkeit in das Zusammenkommen von Atem und Bewegung legen.

Zur Ruhe kommen und Entspannen

Abschluss: Entspannung

Schließen Sie ihre Praxis ab, indem sich für einige Atemzüge ruhig und aufrecht setzen. Für die Entspannung legen Sie sich schließlich einfach bequem auf dem Stuhl ab (Bild 3).

Hintergrund: Nach so viel Dynamik und Anstrengung sind die Muskeln gut durchblutet. Hier tut eine Entspannung besonders gut, denn die Muskeln können jetzt auch tiefsitzende Verkrampfungen leicht loslassen.

Immer wieder üben

In jeder Yogastunde halte ich mich weitgehend an die selbe Bewegungsfolge. Zwar setze ich immer wieder einen neuen Schwerpunkt, weise auf neue Details hin und helfe die Übungen von unterschiedlichen Gesichtspunkten ausgehend weiter zu entwickeln. Doch die Abfolge bleibt stets gleich. Denn der feste Aufbau erleichtert es schnell eine eigenständige Yogapraxis zu Hause zu etablieren. Nur so nehmen Kraft, Ausdauer, Flexibilität, Koordination und Gleichgewicht schnell zu. Dieser Erfolg ist eine Motivation weiter zu üben. Wenn dann noch körperliche Beschwerden, wie Rücken- oder Gelenkschmerzen weniger werden, steigt die Freude an der Selbstpraxis weiter. So hilft Yoga den Senioren ihre Lebensqualität  zu steigern.

Hilde (85 Jahre) meint dazu: „Die Yogastunde ist für mich der wichtigste und schönste Termin der Woche.“