Auf den ersten Blick mag es sich um zwei getrennte Bereiche handeln – doch bei näherer Betrachtung ergeben sich erstaunlich viele Anknüpfungspunkte. Körpertherapeut Andreas Lutz über das Potenzial einer Verbindung der beiden Ansätze.

Yogatherapie

Die verdrehten Körpersegmente eines keinen Jungen im Vergleich zu einer richtigen Körperausrichtung nach der Behandlung. Die Idee für das Logo beruht auf einem echten kleinen Patienten von Dr. Ida Rolf vor 50 Jahren.

Neue Wege in der Körpertherapie: Rolfing und Ashtanga Yoga

In 30 Berufsjahren als Körpertherapeut hat sich die Behandlungsform von Andreas Lutz von der klassisch funktionellen Massage und Physiotherapie stark weiterentwickelt: In der lösungsorientierten Methode des Rolfing geht die Behandlung zwar vom Körper aus, setzt sich jedoch in anderen Bereichen fort. Gefühle und Emotionen lösen sich, Beziehungen klären sich und alles kommt wieder in Bewegung. Eine neue Körperform wird möglich, Wahrnehmung, Aufrichtung und Haltung ändern sich grundlegend.

Der Weg zu einem ganzheitlichen Ansatz

Auf seiner langen Suche nach einem Bewegungskonzept, das körperlich-mechanische mit emotional-geistigen Aspekten verbindet, ist Andreas Lutz schließlich im Ashtanga Yoga Innovation (AYI®) fündig geworden. Der Aspekt, therapeutische Übungen bzw. Modifizierungen in das traditionelle Übungssystem des Ashtanga Yoga zu integrieren, entspricht dabei nicht nur seiner persönlichen Idee, sondern bringt für ihn auch den Grundcharakter von „Yoga Chikitsa - Heilung des physischen Körpers“ auf den Punkt. Denn: Atem ist Leben und Leben ist Bewegung. Regelmäßige Übungspraxis ist der Schlüssel zu Gesundheit, Kraft, Energie, Vitalität und Glück. Wie sich dieses Konzept mit der Methode des Rolfing verbindet, erklärt der Experte anhand einzelner ausgewählter Aspekte.

Andreas: "Nach vielen Jahren als Physiotherapeut bin ich in der Behandlung immer an die gleichen Grenzen gestoßen – trotz allen Wissens und aller Erfahrung ging es irgendwann einfach nicht mehr weiter. Auch meine persönliche Strategie im Umgang mit diesen Patienten war immer die gleiche. Erst durch die Erfahrung, dass sich körperlicher Schmerz löst, wenn emotionale Blockaden wahrgenommen und liebevoll akzeptiert werden, merkte ich, dass die Beziehung Patient / Therapeut tiefer gehen muss. Wir arbeiten am physischen Körper und gleichzeitig (!) auch an der zugehörigen Emotion und an den daran haftenden Glaubenssätzen. Hier liegt die Lösung!"

Rolfing - die Idee

In den 1960er Jahren entwickelte Ida Rolf, eine amerikanische Biochemikerin, diese Methode. Ausgehend von ihren Erfahrungen mit Yoga und Körperarbeit untersuchte sie die menschliche Auseinandersetzung mit der Schwerkraft und beobachtete die daraus entstehenden unterschiedlichen Lösungen. Ihre praktischen Fähigkeiten entwickelte sie durch intensive massage-ähnliche Körperarbeit, aus der Stück für Stück die heutige Methode entstand: In zehn ca. 90-minütigen Sitzungen, die sich über ein Jahr erstrecken, erspüren wir mit den Händen jeden Winkel des Körpers, lösen Verklemmungen, Verspannungen und Blockaden und ermöglichen so wieder befreite Bewegungen.

Jedem Schritt wird dabei ein konkretes Thema zugewiesen:


1. Dem Atem Freiheit schenken
2. Den Boden finden
3. Die Körperseiten strecken
4. Die Schleusen des Beckens öffnen
5. Den Organen Platz schaffen
6. Beweglichkeit für das Os Sacrum - den heiligen Knochen
7. Den Kopf balancieren
8. und 9. Koordination von Becken- und Schultergürtel
10. Die Füße in der Erde verwurzeln und die Augen für den Horizont öffnen

Andreas: "Erst wenn man als Therapeut den Klienten vollständig in seiner aktuellen Existenz akzeptiert hat, kann man ihm Impulse zur Veränderung geben. Der Moment ist das Ergebnis aller zurückliegender Erfahrungen, wir können nichts rückgängig machen, wir können nur die Spur auflösen, die diese Erfahrungen in den Körper eingebrannt haben. Ohne bedingungslose Offenheit und Vertrauen ist das nicht möglich, den Raum dafür macht der Therapeut auf, der Klient geht hinein, wenn er soweit ist."

Funktionelle Aspekte im Rolfing – Arbeit mit den Faszien

Faszien sind im Moment in aller Munde und kein Artikel über Therapie oder Yoga, in dem dieses Gewebe nicht geradezu inflationär erwähnt wird. Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Muskeln funktionieren eher wie Gummi, haben also einen elastischen Aspekt, d. h. sie kommen zurück in die Ausgangsposition. Faszien dagegen sind wie Knete, haben also einen eher plastischen Aspekt, sind verformbar.

Im Körper existieren die zwei Gewebe aber nicht getrennt voneinander, die Trennung existiert nur theoretisch. Tatsächlich sind die beiden Gewebe eng miteinander verwoben. Die Muskeln können sich nur im Rahmen der Faszien bewegen und getreu dem Motto: „Heißes Glas schmilzt, kaltes Glas bricht“ können sich die Faszien nur erwärmt verformen.

Durch gewohnheitsmäßige Haltung und Bewegung formen sich über lange Jahre die Faszien also in eine individuelle Form, die für uns dann nicht mehr wirklich bewusst wahrnehmbar ist. Der Rolfer arbeitet deshalb an den Faszien-Partien, die hart und blockiert sind und auf die wir durch aktive Bewegung keinen Zugriff mehr haben. Auf diese Weise werden „neue“ Bewegungsmuster ermöglicht.

Psycho-emotionale Aspekte des Rolfing

In seinem bahnbrechenden Buch „Die Hakomi Methode“ beschreibt Ron Kurtz, wie wir unseren Charakter über die Jahre hinweg durch immer gleiche Muskeltätigkeit in unseren Körper brennen. Je nachdem welche Glaubensmuster, Gefühlslagen oder körperliche Tätigkeiten wir bevorzugen, entstehen die entsprechenden myofaszialen Gewohnheitsmuster. Letztlich formen wir mit allem, was wir denken, fühlen und wie wir handeln unseren Körper.

Da diese Charakter-Strategien immer Fähigkeiten UND Beschränkungen haben, spiegelt sich das auch in unserer Beweglichkeit wider. Der Körper ist also das ideale Feedback-System, mit dem wir arbeiten können ohne auf die persönliche, intellektuelle Interpretation des Klienten angewiesen zu sein. Durch die intensive Berührung kann der Therapeut also Blockaden lösen und der Klient erfährt ein befreites Körpergefühl mit allen Möglichkeiten, in dem er sich wieder rundherum wohl fühlen kann.

Andreas: Wenn man während einer Behandlung an einen Schmerzpunkt gelangt, spürt man das nicht nur durch festeres Gewebe unter den Fingern, sondern auch an der Reaktion des Klienten. Beginnender Schmerz führt zu einer Hinwendung zum Schmerz und zu aktivierter Atmung; kommen wir an die Schmerzgrenze, beginnt der Klient sich abzuwenden und die Atmung stockt. Diese Reaktion unterstützen wir nicht, wir halten die Intensität unterhalb dieser Grenze, damit sich Spannung lösen, tiefe, gleichmäßige und entspannte Atmung entstehen und Bewegung in den vorher blockierten Bereich kommen kann."

Die Verbindung von Rolfing und Ashtanga Yoga – Berührungspunkte beider Methoden

Was alles miteinander verbindet ist der Atem. Im Ashtanga Yoga führen wir die Atmung mit den Bhandas und dem Ujjayi-Ton, um die Übung von innen nach außen entstehen zu lassen. Das führt zu einem Gefühl der Befreiung und wir lösen uns von den muskulären Spannungen, die unsere momentane Gemütslage hervorgerufen hat.

Im Rolfing bekommen wir durch die tiefe, intensive Berührung verbunden mit der bewussten Atmung nicht nur den Kontakt zur eigenen Körperwahrnehmung, sondern darüber hinaus können wir auch festgehaltene Gefühle und Emotionen erspüren. Sogar blockierende Traumata können aufgedeckt und gelöst werden. Das alles durch eine wache, nicht wertende Kommunikation zwischen Therapeut und Klient.

Wir müssen uns nicht mehr im Gespräch den Geschehnissen der Vergangenheit widmen, sondern erspüren und lösen einfach die Spur, die diese im Körper hinterlassen haben.

Die neu entstandenen Bewegungsmöglichkeiten sollten natürlich im Anschluss auch praktisch umgesetzt werden, was uns mit der Ersten Serie auf den Plan bringt, denn hier werden alle Möglichkeiten ausgeschöpft und neue Bewegungsqualitäten können integriert werden, was im normalen Alltag nicht möglich ist. Körper, Gefühle, Emotionen und Geist kommen so in einen balancierten Zustand, der unserer wahren Natur weitmöglichst entspricht.

Andreas: "Aus der Betrachtung der Schmerz-Reaktion ergab sich für mich automatisch die Integration von Asthanga Yoga. Die atemsynchrone Bewegung ist genau der Aspekt, der neu entstandene, gelöste Körperwahrnehmung unterstützt und weiterhin fördert. Ansonsten laufen wir Gefahr, wieder in das alte, bekannte Muster zurückzufallen. Umgekehrt ist es nicht möglich, diese tiefen Gedanken-Gefühls-Körperfaszien-Blockaden durch aktive Bewegungen zu lösen, da sie in unbewussten Mustern gespeichert sind, die sich unserer Wahrnehmung entziehen. Die Kombination von Rolfing und Ashtanga Yoga Innovation (AYI®) war also unausweichlich und nur konsequent."