Traditionsträger, Pionier, berühmter Yoga-Meister und Gründer des weltbekannten 'Krishnamacharya Yoga Mandiram' – mit TKV Desikachar verließ eine der zentralen Figuren des Yoga im 20. Jahrhundert diese Welt

Philosophie und Tradition

Zweifelsohne ist am 8. August 2016 mit dem Tod von TKV Desikachar eine der Persönlichkeiten verstorben, die die Entwicklung des Yoga im 20. Jahrhundert ganz maßgeblich mitgeprägt haben. Desikachars Leben und Wirken beeindruckt dabei vor allem durch die enorme Vielschichtigkeit und Bandbreite seiner Aktivitäten. Allerdings gab es in seinem Leben nicht nur Höhen – so war sein Sohn, mit dem er eng zusammenarbeitete, in einen Skandal verwickelt, der nicht zuletzt in der Yoga-Welt große Wellen schlug und Desikachar selbst litt gegen Ende seines Lebens zunehmend an Demenz. Hier folgt daher ein nachdenklicher Rückblick.

Ein großes Erbe

Als Sohn von T Krishnamacharya trat Desikachar ein großes Erbe an. Wie groß dieses Erbe war, zeigt sich, wenn wir den Zeithintergrund seines Vaters betrachten: 1888 in einem abgelegenen indischen Dorf geboren, wuchs Krishnamacharya in einer Zeit auf, in der der Yoga in Indien fast vollständig in Vergessenheit geraten war. Über seinen Vater, einen Sanskrit-Gelehrten und Veda-Lehrer, kam er bereits in jungen Jahren mit den heiligen Schriften sowie der Yogapraxis in Kontakt. Diese Unterweisungen endeten im Alter von 10 Jahren abrupt mit dem Tod des Vaters und dem Umzug der Familie nach Mysore. Krishnamacharya verfolgte jedoch den Weg, den sein Vater bereits angelegt hatte, konsequent weiter und wurde so zu einer der Yoga-Autoritäten des 20. Jahrhunderts. Heute gilt er zurecht als einer der Urväter des modernen Yogas, dem es gelang, Tradition und Innovation zu verbinden sowie eine auf den einzelnen Schüler maßgeschneiderte, individuelle Praxis zu etablieren.

Lehrjahre

Dieses Wissen vermittelte Krishnamacharya über die Jahre hinweg an zahlreiche Schüler, darunter auch sein eigener Sohn TKV Desikachar. Dieser hatte seine Karriere zunächst als Ingenieur begonnen, trat dann jedoch ebenfalls in die Fußstapfen seines Vaters, bei dem er von 1960 bis zu dessen Tod im Jahr 1989 Schüler war. Parallel zu seiner eigenen Ausbildung widmete er sich selbst intensiv der Weiterentwicklung der Yogaausbildung und der Yogalehre.

Individuelle Passform statt Standardlösungen

Zentral war für Desichkachar wie bereits bei seinem Vater bei all seinen Bemühungen stets der Aspekt der Individualität. So ging es Desikachar darum, allen Interessierten, unabhängig von ihren körperlichen Voraussetzungen oder Fähigkeiten, zu ermöglichen, Yoga zu praktizieren. Einen weiteren essentiellen Baustein innerhalb dieses Ansatz stellte seine Yoga-Therapie dar, die ebenfalls stets individuell auf den einzelnen Patienten ausgerichtet war. Desikachars Heilansatz umfasste dabei neben Körperübungen auch Atmung, Klang, Meditation und die Veränderungen von persönlichen Einstellungen.  

Theorie, Praxis und Forschung

Desikachar setzte die von ihm verfolgten Ansätze nicht nur praktisch um, sondern reflektierte sie auch theoretisch, unter anderem in seinen Texten “Health, Healing and Beyond”, “The Heart of Yoga”, “The Viniyoga of Yoga”, die mittlerweile als Standardwerke im Bereich Yoga und Yogatherapie gelten. Darüber hinaus gründete er 1976 zu Ehren seines Vaters das Krishnamacharya Yoga Mandiram (KYM), ein gemeinnütziges Yogatherapie-, Ausbildungs-und Forschungs-Zentrum.

Krishnamacharya Yoga Mandiram und Krishnamacharya Healing and Yoga Foundation

Erklärtes Ziel des KYM ist die systematische Erhebung und Aufbereitung von Daten aus dem Bereich Yoga-Therapie und deren Veröffentlichung bzw. Bereitstellung für Auszubildende, Lehrende und Praktizierende. Ergänzt wird dieser Fokus durch das KYM Research Department, das sich auf literaturwissenschaftliche Forschung spezialisiert hat und klassische Yogatexte vergleichend erforscht, sowie bislang unveröffentlichte Manuskripte aus staatlichen Archiven und Universitätsbibliotheken einer breiteren Öffentlichkeit  zugänglich macht.

Im Jahr 2006 gründete Desikachar zudem gemeinsam mit seinem Sohn Kausthub die Krishnamacharya Healing and Yoga Foundation (KHYF). Diese hat es sich zum Auftrag gemacht, die Lehre in der Tradition Krishnamacharyas in ihrer gesamten Bandbreite weiterzugeben, angefangen von Yoga, den Vedischen Disziplinen wie Vedic Chanting und Sanskrit bis hin zur Yogatherapie.

Licht und Schatten

Neben all diesen Leistungen und Errungenschaften, gab es jedoch auch einige Rückschläge bzw. Schattenseiten. So wurde der Erfolg der Stiftung und ihr Ansehen gerade im Bereich der Ausbildung durch den Skandal um Kausthub Desikachar stark beschädigt, der unter anderem mit Vorwürfen der sexuellen Belästigung konfrontiert wurde. Gleichzeitig verschlechterte sich Desikachars eigener Gesundheitszustand aufgrund einer Demenzerkrankung gerade in seinen letzten Lebensjahren so rapide, dass er letztendlich nicht mehr in der Lage war selbst zu unterrichten – ein Umstand, der von seinem engeren Umfeld sowie seiner Stiftung kaum thematisiert und größtenteils aus dem Blick der Öffentlichkeit gehalten wurde.

Ein bleibendes Vermächtnis

Nichtsdestotrotz schmälern diese Umstände mit Sicherheit nicht die Beiträge, die Desikachar gerade zur Entwicklung in den Bereichen Yoga-Ausbildung und Yoga-Therapie geleistet hat und die ihn zu einem würdigen und verdienten Nachfolger seines Vaters machen. Als solcher wird er zweifellos auch in unseren Gedanken sowie unserer eigenen Praxis weiterleben und so einen Ansatz, der Tradition mit Innovation verbindet, fortleben lassen.