OM
Ich verneige mich vor den Lotusfüßen [meiner] Lehrmeister (guru), weil sie [die Lehrmeister] die süße Erkenntnis des eigenen Selbst (svātma) enthüllen.
Dr. Ronald Steiner
I worship the Guru’s lotus feet - Awakening the happiness of the Self revealed
Pattabhi Jois - 1999
und weil sie wie ein Arzt völliges Wohlergehen bringen um die Illusion (moha), das stärkste Gift (hālāhala) des Weltengangs (saṁsāra), zu heilen.
Dr. Ronald Steiner
Beyond comparison, acting like the jungle phyiscian - To pacify delusion from poison of existence.
Pattabhi Jois - 1999
Vor dem, der am Oberkörper (ābāhu) von menschlicher Gestalt (puruṣākāra) ist, der Muschelhorn (śaṅkha), Diskus (cakra) und Schwert (asi) trägt,
Dr. Ronald Steiner
der tausend strahlende Köpfe (sahasra-śirasa) hat, vor ihm verneige ich mich - vor Patañjali.
Dr. Ronald Steiner
OM
vande gurūṇām: Verneigung vor der Tradition
Gleich zu Beginn des Mantra denken wir an all die Yogis, die vor uns bereits den Yoga praktizierten, entwickelten und kultivierten. Bei dem Genitiv Plural in "gurūṇāṁ" können wir an all die Lehrer denken, von denen wir Inspiration erhalten haben und an all deren Lehrer.
svātma: Im Grunde geht es darum, unsere wahre Natur zu erkennen
Zwar unterlagen die Techniken des Yoga stets dem Wandel der Zeit. Im Grunde ging es jedoch immer um die gleiche Essenz, nämlich sein wahres Selbst "svātma" zu erkennen.
moha-śāntyai: Die Heilung von der Verwechslung
Wie im Yoga Sutra, so sieht auch dieses Mantra die Ursache des Leidens in der Verwechslung. Wir verwechseln das Vergängliche mit dem Ewigen. Nur durch diese Verwechslung versetzen uns die unabdingbaren Veränderungen dieser Welt in Leiden.
Ursprung des ersten Teils des Mantras
Bemerkenswert ist, dass jeder der Schüler von Krishnamacharya eine eigene Version dieses Mantras erhielt und später an seine Schüler weitergab.So beginnt Sri K. Pattabhi Jois das Maṁtra mit einem Vers, der aus dem Shaiva-Hinduismus stammt und so im Kontrast zum ansonsten vom Vaishnava-Hinduismus geprägten Rest zu stehen scheint. Shankarachaya ist in seinem Werk, dem Yoga Taravalli, der Autor der ersten zwei Zeilen.
Patañjali, halb Mensch halb Schlange
Über die historische Person von Patañjali ist nichts bekannt. Wir wissen noch nicht einmal, ob der Autor des Yoga Sūtra überhaupt eine Einzelperson war. Vieles spricht dafür, dass das Yoga Sūtra ein möglicherweise über mehrere Jahrhunderte hinweg entstandenes Werk war, in das viele Urheber ihre Ideen einbrachten.
Mythologisch wird Patañjali als eine Inkarnation von Ananta, der Weltenschlange, beschrieben. Daher wird er meist als halb Mensch, halb Schlange dargestellt. Die Schlange bildet aufgerollt eine Basis für den aufrecht sitzenden menschlichen Oberkörper. Ananta heißt wörtlich "Unendlich". Ananta gilt als der König der Nāga, von schlangenförmigen Luftwesen. Die Nāga werden in Indien bis heute als ein Symbol für Weisheit verehrt. Die 1.000 strahlenden Köpfe symbolisieren hier nochmals die Unendlichkeit.
Muschelhorn, Diskus und Schwert
Das Muschelhorn ist ein Symbol für den Klang, aus dem alles entstand. Der Diskus ist ein Symbol für die Zeit, die alles zerstört. Patañjali überwindet mit seiner Lehre, so die Symbolik, Anfang und Ende.
Ob Patañjali hier ein Schwert hält und was dieses symbolisiert, wird immer wieder diskutiert. Mir sind aktuell keine Darstellungen bekannt, in denen Patañjali ein Schwert hält. Auch ist es ungewöhnlich, dass eine mythologische Figur drei Gegenstände hält. Zwar haben einige mythologische Figuren durchaus mehr als zwei Arme, doch üblicherweise ist die Anzahl der Arme gerade. Auch wenn die Wortstellung dann ungewöhnlich ist, könnte man asi als 2. Person Singular mit "Du bist" übersetzen.
Ich habe mich hier dennoch entschieden, asi als Schwert zu übersetzen, denn die gesamt Grammatik des Satzes macht nach meinem Verständnis nur so Sinn. Auch ist das Schwert ein wunderschönes Symbol für die Unterscheidungskraft (viveka) und diese ist eines, vielleicht sogar das wichtigste Werkzeug zum Erreichen von Freiheit (mokṣa) im Yoga Sūtra von Patañjali.
Ursprung des zweiten Teils des Mantra
Der zweite Teil dieses Mantra taucht ausschließlich in der Traditionsfolge von Krishnamacharya auf. Ganz ähnliche Beschreibungen von Ananta bzw. Śeṣa finden sich im Vaishnava-Hinduismus. Insbesondere in der Śrīmad Bhāgavatam und Kūrmapurāṇa. Durch unterschiedliche erste Teile und Anfügungen am Ende entstehen bei den Schülern von Krishnamacharya jeweils unterschiedliche Mantren.
Das Ashtanga Yoga Mantra - Dr. Ronald Steiner 20.7.2016
Gesungen von Dr. Ronald Steiner, Aufnahme & Ton Roald Raschner (rr-mupro.de).
Das Ashtanga Yoga Mantra - Dr. Ronald Steiner 31.7.2015
Gesungen im Rahmen der AYI Advaned Ausbildung.