Bei unserer ersten Übung zum Thema haben wir uns unserer Haut auf einem eher oberflächlichen Level genähert. Dieses Mal geht es eine Schicht tiefer …

Yogatherapie

Im ersten Artikel ging es darum, welche zentrale Rolle die Haut dabei spielt, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen, mit ihr in Kontakt treten und uns in ihr orientieren. Wir haben gesehen, wie die Haut Informationen aufnimmt und welchen Einfluss frühere Erfahrungen darauf haben, wie wir eine Berührung wahrnehmen – was natürlich für jeden Menschen verschieden ist. Am Ende des Artikels habe ich noch eine kleine Übung vorgestellt, die dabei helfen sollte, das Bewusstsein für die Haut zu schärfen und ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie die Haut mit unserer Psyche und unseren Emotionen verbunden ist.

Dafür habe ich Dich gebeten, Dir ein Adjustment ins Gedächtnis zurück zu rufen, das Du während einer Yogastunde bekommen hast und noch einmal darüber nachzudenken, wie Dein Körper und Dein Geist dieses Adjustment wahrgenommen haben. Um diesen Eindruck zu intensivieren, war mein Vorschlag, dies über einen ganzen Monat hinweg zu probieren und die Gedanken und Erfahrungen nach Deiner Praxis jeweils kurz in einer Art Tagebuch festzuhalten.

Vom Subjekt zum Objekt der Betrachtung

In der ersten Übung ging es vor allem darum, wie wir eine Berührung wahrnehmen und darauf reagieren, insbesondere auch im Vergleich zu einer rein verbalen Anweisung. In der heutigen Übung wirst Du nun selbst zum Gegenstand der Betrachtung – und zwar sowohl in der Rolle des „Gebenden“ als auch des „Empfangenden“. Hierfür habe ich eine Aufgabe ausgewählt, die Dich dazu einlädt, Deine Ausrichtung im Raum, auch unter dem Begriff Propriozeption bekannt, zu spüren und in einer Yoga-Position ein wenig mit Selbst-Adjustment zu experimentieren.

Die Übung selbst stammt von meinem Mentor Chris Hoskins, der bei Piedmont Yoga für die Ausbildung neuer Lehrer verantwortlich ist und das Studio 6 in Oakland, Kalifornien, leitet. Ich habe mit ihm über den Artikel gesprochen und ihn gefragt, ob ich seine „Passive Tadasana/ Standing Savasana“ Übung dafür verwenden darf und sofort seine Zustimmung erhalten. Während der Monate, die ich bei ihm als Mentee war, habe ich das passive Tadasana stets zu Beginn meiner täglichen Praxis geübt.

 

Passives Selbst-Alignment - und seine ganz speziellen Herausforderungen

Zur Übung muss noch Folgendes gesagt werden: Ich bin ein Mensch, der ständig und gerne in Bewegung ist, und ich wollte mir nie wirklich die Zeit nehmen, meinen Körper in einer neutralen Position zu beobachten. Deshalb habe ich diese Praxis, die als Anfangsritual Teil jeder Asanapraxis mit Chris war – egal ob in der Lehrerausbildung, im Studio oder im Einzelunterricht – anfangs auch wirklich gehasst. Ich hatte das Gefühl, dass ich herumwackelte wie eine Palme im Sturm, dass mir die Füße einschliefen und ich war genervt davon, manchmal mehr als zehn Minuten einfach nur dastehen zu müssen. An irgendeinem Punkt, nachdem ich etwa drei Monate lang konsequent und diszipliniert geübt hatte, begann ich jedoch zu spüren, dass das, was ich da fühlte, letztendlich muskuläre Dysbalancen auf beiden Seiten meines Körpers waren. Ich begann wahrzunehmen, wie meine Knochen sich eigentlich ausrichten wollten, aber dass da irgendeine Form von muskulärer Anspannung war, die sie immer wieder aus dem Alignment zog. Mir ist es dabei manchmal sogar passiert, dass ich in Schweiß ausgebrochen bin, nur weil ich versucht habe, meinen rechten Fuß isometrisch nach innen und hinten zu ziehen, um meinen Oberschenkelknochen parallel zum linken auszurichten. Mit der Zeit half mir diese Übung, meinen Körper im Raum wirklich zu spüren, die Struktur meines Körpers wahrzunehmen und zu wissen, was genau ich in meiner Asanapraxis tat – und das, weil ich meinen Körper spürte und nicht, weil ich auf ein bestimmtes Körperteil schaute oder mich selbst im Spiegel beobachtete. Das war allerdings nur möglich, weil ich mich zuvor mit der Struktur meines Körpers auseinandergesetzt und meinen Dysbalancen mehr Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Ich begann, diesen Ansatz des Spürens anschließend auf einzelne Yoga-Positionen zu übertragen. Dazu wählte ich als erstes den Sprinter aus, dann ging ich zu einigen sitzenden Positionen über und schließlich gelang es mir, auch im passive Tadasana mehr Stabilität zu finden.

Welche Praxistipps würde Chris Dir geben?
„Ich denke, dass es extrem wichtig ist, dass wir uns dessen bewusst werden, dass die Haut unser größtes Organ ist. Je mehr wir davon während der Asanapraxis einbeziehen, desto größer wird auch unsere Sensibilität und es fällt uns leichter vollkommen präsent zu sein. Bewusste Übungen, die sich auf die Haut konzentrieren, bereiten uns auf die Reise vom Grobstofflichen zum Feinstofflichen vor – und in vielerlei Hinsicht handelt es sich um eine Metapher für genau diesen Prozess. Letztendlich geht es bei der Asanapraxis darum, die subtileren Aspekte des Yoga zu entdecken. Die Haut und die Art und Weise, wie Du Deine Haut wahrnimmst, sind ein wichtiger Bestandteil einer wirklich ganzheitlichen Praxis.”

Übung für Februar: Propriozeptives Bewusstsein durch Shavasana im Stand

Tipp: Nachdem es anfangs sehr schwierig ist, die Übung für sich selbst zu bewerten, kann es hilfreich sein, ein kurzes Video aufzunehmen und dieses im Anschluss anzuschauen.

Wenn Du Deine Matte bereits ausgerollt hast, dann verlasse sie noch einmal, richte Deinen Blick genau geradeaus und fange an, im Raum herumzugehen. Widerstehe dem Drang, zu Deinen Füßen zu schauen! Bleibe irgendwo im Raum stehen und komme in eine Variante von Samasthiti, bei der Du die großen Zehen so nah zusammenbringst, dass sie sich fast berühren und bei der die Fersen zwei Fingerbreit voneinander entfernt sind. Die großen Zehen und Knie haben wohlgemerkt keinen Kontakt. Hebe jetzt Deine Zehen, spreize sie voneinander ab und setze sie dann entspannt wieder auf den Boden. Schließe Deine Augen, aber halte den Blick weiterhin aktiv nach vorne gerichtet. Atme und warte ab. Nimm wahr, wo Du im Raum stehst und wie Deine Füße ausgerichtet sind bzw. ob sie im Alignment stehen. Nimm noch einige Atemzüge, öffne dann Deine Augen, blicke zu Deinen Füßen und richte sie wenn nötig noch einmal aus.

Schließe jetzt erneut die Augen. Drehe die Fersen erst nach innen, dann nach außen. Konzentriere Dich auf die Hacke Deines Fußes und nimm wahr, wie Knochen auf Knochen aufeinander ausgerichtet sein muss, um das Gewicht Deines Körpers mit einer gewissen Leichtigkeit und mit so wenig Muskelaktivität wie möglich zu tragen und in einer aufrechten Haltung zu bewahren. Gib Deinem Körper die Atemzüge, die er benötigt. Versuche, Dich mit so wenig Anstrengung wie möglich aufrecht zu halten. Wie fühlst Du Dich dabei? Stabil und standhaft wie einer der riesigen Sequoia-Bäume oder doch eher biegsam und schwingend wie eine Weide? Oder vielleicht ganz anders? Welche Gedanken gehen Dir durch den Kopf und welche Wirkung haben sie darauf, wie Du Dich in dieser Position fühlst?

Bleibe für etwa 5 Minuten in dieser Position, gönne Dir dann eine kurze Pause und schau anschließend entweder Dein Video an oder halte die Erfahrung in Deinem Tagebuch fest.

Zum Schluss noch ein Tipp von mir: Bleib bei dieser Aufgabe am Ball, genieße sie und versuche, sie mit vairagya zu üben. Damit meine ich: Nimm sie genauso ernst wie die herausfordernste Position, an der Du gerade arbeitest, und sei beständig, egal ob es gut, schlecht oder neutral läuft. Wer weiß, vielleicht liegt der Schlüssel, den Du brauchst, um die neue Position zu meistern, in Deinem passiven Tadasana versteckt.

Viel Freude beim Üben und bis zur nächsten Aufgabe!

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