Die Lunge erhält ihre Form durch ihre Anhaftung über eine dünne Flüssigkeitsschicht und Vakuum an die Wände des Brustraumes. Dieser wird seitlich von den Rippen umschlossen und vom Bauchraum durch die Muskelplatte des Zwerchfells (Diaphragma) getrennt. Das Zwerchfell wiederum findet seinen Halt mit den beiden sogenannten Schenkeln (Crus Diaphragmatis) an der Lendenwirbelsäule und ringsum an den untersten Rippen. Von dieser kreisförmigen Basis aus strecken sich kräftige Muskeln nach oben. Zentral vereinigen sie sich domkuppelartig zu einer Sehnenplatte (Centrum Tendineum, Bild 1).
Das Zwerchfell ist unser kräftigster Atemmuskel. Daher sollte es bei jeder Form von gesunder Atmung, egal ob entspannend in den Bauch oder energetisierend mit Bandha, der Hauptmotor der Atembewegung sein.
Tiefe Bauchatmung führt zur Entspannung
Spannt das Zwerchfell an, so verkürzen sich die Seiten der Domkuppel. Die Kuppel wird also flacher. Bleiben die Rippenbögen, an denen die Basis des Zwerchfells anhaftet, dabei weitgehend unbewegt, so zieht das Zwerchfell seine zentrale Sehnenplatte nach unten. Dies erzeugt im Brustraum einen Unterdruck, Luft wird durch die Luftröhre (Trachea) angesaugt und die Lunge füllt sich. Die sich abwärts bewegende Sehnenplatte schiebt die Bauchorgane vor sich her und die Bauchdecke wölbt sich sichtbar nach außen (Bild 2). Die Ausatmung kann durch simples Entspannen des Zwerchfells erfolgen. Durch die Eigenelastizität der Lunge entweicht die Luft wieder. Die zentrale Sehnenplatte wird dabei in ihre Ausgangsposition nach oben gesogen. Die Bauchorgane folgen und die Bauchdecke geht nach innen. Die schrägen Bauchmuskeln (Musculus Obliquus Abdominis Externus und Internus) können diese Bewegung aktiv unterstützten, indem sie die Bauchdecke kraftvoll nach innen ziehen und so die Bauchorgane nach oben schieben. Das sich entspannende Zwerchfell wird dadurch aktiv angehoben und gedehnt. Weitere Luft strömt aus der Lunge (Bild 3).
Auf diese Weise schwingt das Zwerchfell zwischen Brust- und Bauchraum bei der Einatmung nach unten und bei der Ausatmung nach oben. Die Einatmung wird aktiv durch die Kraft des Zwerchfells angetrieben, die Ausatmung passiv durch die Eigenelastizität der Lunge. Aktiv kann die Ausatmung durch die Kraft der seitlichen Bauchmuskeln, passiv die Einatmung durch die Eigenelastizität des Brustkorbes erfolgen.
Paradoxe Bauchatmung
Damit diese entspannte Bauchatmung gelingen kann, muss der Brustraum während der Atmung weitgehend stabil bleiben. Wäre der Brustraum nicht stabil, würde während der Einatmung nicht nur Luft angesaugt, sondern die Rippen selbst würden nach innen gezogen werden. Bei der Ausatmung würde Luft nicht herausbefördert werden, sondern es würden lediglich die Rippenbögen gehoben. Diese so genannte „Paradoxe Atmung“ ist offensichtlich nicht effektiv. Zwar arbeitet das Zwerchfell und möglicherweise auch die Bauchmuskulatur, doch nur ein Teil der aufgewandten Energie saugt Luft an. Der andere Teil führt nur zu einer Verformung des Brustkorbes (Bild 4).
Die Zwischenrippenmuskeln erfüllen diese Funktion (Mm. Intercostales Externi bei der Einatmung, Mm. Intercostales Interni bei der Ausatmung). Eine paradoxe Atmung kann man bei Menschen mit einer starken Querschnittslähmung beobachten. Die Zwischenrippenmuskeln werden durch Nerven vom Rückenmark der Brustwirbelsäule gesteuert und haben ihre Funktion eingebüßt. Das Zwerchfell jedoch wird vom Nervus Phrenicus, der direkt aus dem Gehirn entspringt, angesteuert und erfüllt seine Funktion weiterhin.
Auch bei Stress oder Angst kann solch eine paradoxe Atmung, etwas weniger ausgeprägt, auftreten. Oft wird sie durch eine falsch verstandene Bauchatmung im Yogaunterricht sogar noch verstärkt. Während der Übende versucht, bewusst mit der Einatmung den Bauch vorzuschieben, fällt der Brustkorb ein. Anstatt zu entspannen erhöht solch eine Atemtechnik den Stress weiter.
Ausprobieren und erforschen
Probieren Sie beide Arten des Atmens aus und vergleichen Sie die Wirkung. Dazu legen Sie sich entspannt auf den Boden. Platzieren Sie eine Hand so auf dem Bauch, dass der Mittelfinger auf dem Bauchnabel liegt, und legen Sie die andere Hand auf das Brustbein.
Tiefe Bauchatmung: Atmen Sie locker und entspannt ein. Beobachten Sie, wie sich Ihr Bauch mit der Einatmung langsam hebt und mit der Ausatmung senkt, während das Brustbein weitgehend unbeweglich bleibt. Achten Sie darauf, welche Wirkung diese Art zu atmen auf Sie hat. Vielleicht stellen sich zunehmend Ruhe und Entspannung ein. Die tiefe Bauchatmung ist die optimale Atemtechnik, um nach einem stressigen Tag wieder zur Ruhe zu kommen.
Paradoxe Bauchatmung: Schieben Sie nun den Bauch noch weiter nach vorne. Diese Vorwölbung des Bauches kann maximal paradox sogar völlig ohne Einatmung erfolgen. Sie werden beobachten, wie durch die Sogwirkung des Zwerchfells der Brustkorb nach innen gesogen wird und etwas in sich zusammenfällt. Vielleicht können Sie zudem ein Gefühl von Beklemmung, Stress oder Angst wahrnehmen. Achten Sie daher während der nächsten Yogapraxis besonders auf den Unterschied und halten Sie Ihren Brustraum aktiv, wenn Sie tief in den Bauch atmen.
Agnisara Kriya
Die paradoxe Bauchatmung hat auch ihre guten Seiten: Sie führt zu einer intensiven Massage der Bauchorgane und fördert damit die Verdauung. Im Hatha Yoga kennt man diese aktivierende Technik unter dem Namen Agnisara Kriya. Dabei wird ohne Atmung der Bauch vor und zurück geschoben. Dadurch wird Agni, das Verdauungsfeuer, entfacht. Aufgrund der reinigenden Wirkung ist diese Atemübung eine optimale Vorbereitung für Pranayama.