Atem und Gesundheit: Ein uraltes Yoga-Geheimnis neu entdeckt
Die Verbindung zwischen Atmung und der Lebenskraft (Prāṇa) ist tief in der Yoga-Philosophie verwurzelt. Śītalī Prāṇāyama, eine Atemtechnik des traditionellen Haṭha Yoga, wird in den Quelltexten kühlend und beruhigend beschrieben. Doch was, wenn die Weisheit der Yogis sich mit den Ergebnissen moderner Wissenschaft deckt?
Jüngste Studien zum Inspiratory Resistance Training (IRT) enthüllen, dass gezieltes Atemtraining weit mehr als nur eine beruhigende Wirkung haben kann – es kann ein Schlüssel zur Verbesserung der Herzgesundheit und einer verbesserten autonomen Regulation sein.
Grundlagen des Inspiratory Resistance Trainings (IRT)
Inspiratory Muscle Training (IRT) ist eine Form des Atemtrainings, bei dem das Einatmen gegen einen Widerstand erfolgt.
Dies kann durch spezielle Atemgeräte, wie beispielsweise ein Atemmuskeltraining-Gerät, erreicht werden, das einen einstellbaren Widerstand bietet, der den Atemwiderstand erhöht. Alternativ kann der Widerstand auch durch den Einsatz von speziellen Mundstücken oder Ventilen erzeugt werden, die den Luftstrom während der Einatmung beschränken.
Unterschieden wird üblicherweise zwischen niedrigem Widerstand „Low Inspiratory Resistance Training (lIRT)“ und hohem Widerstand „High Inspiratory Resistance Training (hIRT)“. Beide scheinen ähnliche Wirkungen zu haben. Jedoch erzielt das hIRT diese mit weniger Trainingsaufwand [Craighead 2021].
Wirkungen von Inspiratory Resistance Training (IRT) auf den Bewegungsapparat und die Herzfunktion
Damit ist IRT ein gezieltes Krafttraining für zur Einatmung notwendige Atemmuskulatur. Diese ist Teil des helikalen Muskel-Fasziensystems. Damit hat das Atemtraining positive Wirkung für eine gesunde Wirbelsäule.
Doch das IRT ist weit mehr als nur ein Atem-Kraft-Training. Durch das Einatmen gegen Widerstand entsteht ein Unterdruck im Brustkorb. Dieser wiederrum fördert den Blutrückstrom zum Herzen. Durch den erhöhten Zustrohm an Blut, schlägt das Herz einerseits schneller, zum anderen pumpt es mehr Blut mit jeder Kontraktion (erhöhte Auswurffraktion). Das basiert auf einem Frank-Starling-Mechanismus genannten Prinzips.
Das Prinzip des „Frank-Starling-Mechanismus“ besagt, dass die Herzkontraktion stärker ist, wenn die Herzmuskelzellen vor der Kontraktion stärker gedehnt werden. Die Zunahme der Vorlast dehnt die Ventrikelmyozyten, wodurch sie sich näher an ihre optimale Länge für eine maximale Kontraktionskraft bewegen. Dies führt zu einer erhöhten Auswurffraktion und einer gesteigerten Pumpleistung des Herzens [Chaui-Berlinck 2017].
Wirkungen von Inspiratory Resistance Training (IRT) auf Herzratenvariabilität und autonome Regulation
Bei der Einatmung erhöht sich durch diesen Mechanismus nicht nur die Auswurfraktion, sondern auch die Herzfrequenz. Umgekehrt verlangsam sich bei der Ausatmung die Herzfrequenz wieder. Im Ergebnis erhöht sich folglich die Herzratenvariablität (HRV).
„Herzratenvariabilität (HRV)“ bezeichnet die natürlichen Schwankungen der Zeitabstände zwischen aufeinanderfolgenden Herzschlägen.
Die HRV ist ein Maß für die Anpassungsfähigkeit des Herzens an äußere und innere Reize. Eine hohe HRV weist auf ein gesundes, flexibles Herz-Kreislauf-System hin, während eine niedrige HRV mit Stress, Ermüdung oder sogar erhöhtem Risiko für Herzkrankheiten in Verbindung gebracht werden kann. So zeigt es eine Meta-Analyse von Kohortenstudien [Fang 2020].
HRV ist zudem ein wichtiger Indikator für die Balance und das Zusammenspiel des sympathischen (aktivierenden) und des parasympathischen (beruhigenden) Teils des autonomen Nervensystems [Gullet 2023].
Es ist nicht verwunderlich, dass Die Herz-Funktion und die Herzratenvariabilität während des IRT erhöht sind. Doch dieser positive Effekt besteht über den eigentlichen Trainingszeitraum hinaus fort [Laoutaris 2008].
Die verbesserte Herzfunktion und autonome Regulation hat positive Auswirkungen auf den gesamten Körper: Ein hoher Blutdruck kann sich normalisieren und die Herzfrequenz im Ruhezustand optimieren, was die Herzgesundheit langfristig weiter unterstützt. Zusätzlich verbessert sich die Gefäßreagibilität, was bedeutet, dass die Blutgefäße besser auf Veränderungen im Blutfluss und Blutdruck reagieren können.
Aktuelle Studie: Untersuchung des Zusammenhangs zwischen IRT, HRV und Herzfunktion
Eine kürzlich durchgeführte Studie mit dem Titel "Time-efficient, high-resistance inspiratory muscle strength training for cardiovascular aging" wurde am Institut für Sport- und Bewegungswissenschaften der Universität Basel in der Schweiz durchgeführt [Freeberg 2023]. Die Studie umfasste insgesamt 37 Probanden, die in eine Interventionsgruppe (IG) mit 19 Probanden und eine Kontrollgruppe (KG) mit 18 Probanden aufgeteilt wurden.
Die IG absolvierte ein Trainingsprogramm, das aus 30 inspiratorischen Atemzügen mit einem Widerstand von 75% der maximalen Inspirationsdruckkapazität (PI max) bestand. Dieses Training wurde an fünf Tagen pro Woche durchgeführt. Die Kontrollgruppe führte kein spezifisches Atemtraining durch und erhielt kein Ersatzprogramm. Die Studie erstreckte sich über einen Zeitraum von 12 Wochen.
Die Forscher analysierten die Auswirkungen von IRT auf die HRV und die Herzfunktion vor, während und nach dem Training. Dabei konzentrierten sie sich insbesondere auf Faktoren wie die Ejection Fraction (Auswurffraktion) und die Herzratenvariabilität als Indikatoren für die autonome Regulation des Herzens.
Die Studie zeigte, dass das Inspiratory Resistance Training (IRT) über einen Zeitraum von 12 Wochen signifikante Verbesserungen der Herzfunktion, der autonomen Regulation des Herzens und der Gefäßreagibilität bewirkte. Die Interventionsgruppe, die IRT durchführte, zeigte eine erhöhte Herzratenvariabilität (HRV), eine verbesserte Auswurffraktion (Ejection Fraction) sowie eine gesteigerte Gefäßreagibilität im Vergleich zur Kontrollgruppe. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass IRT ein effektives Training zur Förderung der kardiovaskulären Gesundheit sein kann, das positive Auswirkungen auf verschiedene Aspekte der Herzfunktion und Gefäßgesundheit hat.
Die Verbindung zur alten Yoga-Atemtechnik Śītalī
Die Haṭha Yoga-Texte sind reich an Weisheiten über die Verbindung zwischen Atem und Lebenskraft. Eine dieser Techniken, Śītalī Prāṇāyāma, beschreibt eine Atemtechnik, bei der durch die gerollte Zunge eingeatmet wird. Diese Atemübung soll kühlend und beruhigend wirken. Sinkt der Blutdruck, so empfinden wir subjektiv Kühlung. Mentale Beruhigung ist ein Zeichen verbesserter autonomen Balance.
Bemerkenswert ist, dass Inspiratory Resistance Training (IRT) nach wissenschaftlichen Erkenntnissen, genau diese Effekte hat: Es senkt den Blutdruck und verbessert die autonome Balance.
Es liegt daher nahe, dass das traditionelle Śītalī Prāṇāyāma und das moderne IRT auf demselben Wirkungsmechanismus beruhen. Um den modernen Studien gerecht zu werden können wir Śītalī Prāṇāyāma nun mit einem etwas anderen Fokus ausführen:
- Anstatt die Zunge nur locker längs zu rollen und auf das Kühlen durch das Streichen der Luft über die feuchte Zunge zu hoffen. – Wie etwa ein Hund beim Hächeln. Können wir mit der gerollten Zunge einen intensiven Widerstand bei der Einatmung erzeugen. Menschen die die Zunge nicht rollen können, können diesen Widerstand erzeugen indem sie die Lippen wie zum Pfeifen schürzen und gegen den durch die Lippen erzeugten Widerstand einatmen.
- Wenn wir die Kraft der Einatemmuskulatur trainieren wollen und während der Einatmung einen Unterdruck im Brustkorb erzeugen wollen, dann sollte die Einatmung möglichst tief sein. Die in den Qelltexten des Haṭha Yoga beschriebene, jedoch nicht näher spezifizierte Anhaltephase hingegen darf kurz ausfallen.
Inspiratory Resistance Training und traditionelle Yoga-Atemtechniken wie Śītalī Prāṇāyāma mögen auf den ersten Blick verschieden erscheinen, aber beide scheinen auf dem selben Wirkprinzip zu beruhen. Indem wir die Weisheit alter Traditionen mit moderner Wissenschaft verbinden, können wir alte Techniken neu verstehen und so unsere Praxis noch gezielter ausrichten. So finden wir einen ganzheitlichen Ansatz für unsere Gesundheit, der Körper, Geist und Seele gleichermaßen nährt.
Foto: Nela König - https://www.nelakoenig.com/
Artikel (bearbeitete Version): YogaWorld - https://yogaworld.de/
Literatur
Chaui-Berlinck JG, Monteiro LHA. Frank-Starling mechanism and short-term adjustment of cardiac flow. J Exp Biol. 2017 Dec 1;220(Pt 23):4391-4398. doi: 10.1242/jeb.167106. Epub 2017 Sep 14. PMID: 28912258. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28912258/
Craighead DH, Freeberg KA, McCarty NP, Seals DR. Time-efficient, high-resistance inspiratory muscle strength training for cardiovascular aging. Exp Gerontol. 2021 Oct 15;154:111515. doi: 10.1016/j.exger.2021.111515. Epub 2021 Aug 10. PMID: 34389471; PMCID: PMC9150656. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34389471/
Fang SC, Wu YL, Tsai PS. Heart Rate Variability and Risk of All-Cause Death and Cardiovascular Events in Patients With Cardiovascular Disease: A Meta-Analysis of Cohort Studies. Biol Res Nurs. 2020 Jan;22(1):45-56. doi: 10.1177/1099800419877442. Epub 2019 Sep 26. Erratum in: Biol Res Nurs. 2020 Jul;22(3):423-425. PMID: 31558032. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31558032/
Freeberg KA, Craighead DH, Heinbockel TC, Rossman MJ, Jackman RA, Jankowski LR, Ludwig KR, Chonchol M, Bailey EF, Seals DR. Time-efficient, high-resistance inspiratory muscle strength training increases cerebrovascular reactivity in midlife and older adults. Am J Physiol Heart Circ Physiol. 2023 Nov 1;325(5):H1059-H1068. doi: 10.1152/ajpheart.00351.2023. Epub 2023 Sep 8. PMID: 37682232. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37682232/
Gullett N, Zajkowska Z, Walsh A, Harper R, Mondelli V. Heart rate variability (HRV) as a way to understand associations between the autonomic nervous system (ANS) and affective states: A critical review of the literature. Int J Psychophysiol. 2023 Oct;192:35-42. doi: 10.1016/j.ijpsycho.2023.08.001. Epub 2023 Aug 3. PMID: 37543289. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37543289/
Laoutaris ID, Dritsas A, Brown MD, Manginas A, Kallistratos MS, Chaidaroglou A, Degiannis D, Alivizatos PA, Cokkinos DV. Effects of inspiratory muscle training on autonomic activity, endothelial vasodilator function, and N-terminal pro-brain natriuretic peptide levels in chronic heart failure. J Cardiopulm Rehabil Prev. 2008 Mar-Apr;28(2):99-106. doi: 10.1097/01.HCR.0000314203.09676.b9. PMID: 18360185. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/18360185/
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