Sabine: AYI® Ausbilder, Lehrer für Thai Yoga Massage, Mitglied in diversen internationalen Yogavereinigungen – Deine Vita liest sich wirklich beeindruckend. Kannst Du uns etwas zu Deinem Werdegang erzählen? Gab es bestimmte Schritte oder Stationen, die dich besonders geprägt haben?
Marcell: Als ich Ende der Neunziger Jahre in Neuseeland das erste Mal in Kontakt mit Yoga kam, war ich sofort fasziniert. Neuseeland ist ein sehr kraftvoller Ort und diese Erfahrung in Kombination mit Yoga war sehr prägend. Kurz darauf bin ich dann schon nach Indien gefahren, wo ich über mehrere Jahre bei Swami Rudra Dev in Rishikesh gelernt habe. Er ist ein warmherziger, aber strenger Iyengar Lehrer der alten Schule. Ich mochte diese Strenge mit Herz und habe dort viel über Alignment gelernt. Die Iyengar Methode ist für mich die solide Basis meiner Praxis geworden. Mir war sie allerdings zu statisch und mit zu vielen Hilfsmitteln.
So bin ich in Australien zu meinem „Yogavater“ Lance Schuler gekommen. Er hat mich mit seiner leichten und gleichzeitig intensiven Art zu praktizieren sehr beeindruckt. Nach der ersten Stunde bei ihm blieb ich schließlich mehrere Monate, wohnte und arbeitete dort. Es entstand eine innige Freundschaft, die noch heute besteht. Ich kehrte mehrere Jahre immer wieder zurück und absolvierte dort dann meine erste Ausbildung. Lance INSPYA Stil war für mich die logische Weiterentwicklung in meiner Praxis. Denn auch Lance kommt aus dem Iyengar, reduzierte jedoch das Einsetzen der Hilfsmittel und integrierte mehr Dynamik in die Praxis.
Während einer weiteren Ausbildung in der Thai-Yoga-Massage und dem damit verbundenen längeren Aufenthalt in Chiang Mai/ Thailand wohnte ich neben einer Ashtanga Schule, in der William Holtby unterrichtete. Ich übte bis dato nur sporadisch die erste Serie. Mir erschien es zu diesem Zeitpunkt zu langweilig und starr, immer dasselbe zu praktizieren und ich erkannte den Sinn dahinter nicht. William verstand es, mir die tiefere Bedeutung des Ashtanga näher zu bringen. Die Synchronisation von Atem, Bandha und Bewegung faszinierte mich und ich fand in dieser Tradition etwas ganz Neues. Meine Yogaheimat war gefunden.
Sabine: Was hat dich nach der langen Zeit in Asien letztendlich wieder nach Deutschland verschlagen und wie bist Du zu AYI® gekommen?
Marcell: Die Liebe. Der Plan war, nicht aus Australien zurückzukommen. Doch ich habe meine Frau in Bremen gefunden und als unsere Tochter geboren wurde, war klar, dass ich das Reisen nicht so weiterführen konnte wie bisher. Es war der Zeitpunkt gekommen, meinen alten Beruf im Veranstaltungsbusiness aufzugeben und das YOMA zu gründen. Parallel dazu wollte ich mich weiterbilden, ohne viel weg sein zu müssen. Also machte ich mich auf die Suche nach einer längerfristigen, fundierten Ausbildung in Deutschland. So bin ich bei Anna und Ronald gelandet und habe ihre erste gemeinsame Ausbildung mitgemacht.
Sabine: Du hast in Asien sowohl selbst gelernt als auch unterrichtet. Gibt es aus deiner Sicht einen Unterschied in der Herangehensweise, gerade was die Ausbildung betrifft?
Marcell: Ja. Speziell in Asien ist die Ausbildung sehr viel zeitaufwändiger. Das klassische Lehrer- Schüler-Verhältnis baut auf mehrere Jahre auf und wird in Einzel- oder Kleinstgruppen gehalten. Auf den ersten Blick scheint es sehr unstrukturiert und willkürlich, wie gelehrt wird. Doch der Inhalt, besonders die Philosophie, wird nach der Entwicklung des Schülers in kleinen „Häppchen“ unterrichtet und kann so direkt erfahrbar gemacht werden. Unser westliches, strukturiertes Unterrichtssystem scheint zwar effektiver im Vermitteln von kognitivem Wissen, doch leider bleibt die Tiefe dabei vielleicht manchmal auf der Strecke. Meiner Erfahrung nach neigen wir dazu, gerade wenn es unangenehm und anstrengend wird, nicht weiterzugehen und einen anderen Weg einzuschlagen. In Asien hat man seinen Lehrer, der einem in diesem Moment zur Seite steht.
Sabine: Wie sieht deine eigene Praxis heute aus? Praktizierst Du verschiedene Stile oder hast Du Dich inzwischen auf eine Richtung festgelegt?
Marcell: Mittlerweile praktiziere ich ausschließlich Ashtanga Yoga Innovation. Ab einem gewissen Punkt braucht es meines Erachtens die Praxis-Struktur, damit man nicht abgelenkt wird und tiefer eintauchen kann. Die vorgegebene Struktur im Ashtanga Yoga macht es einfacher, sich auf den Atem zu konzentrieren und ist ein unerbittlicher Spiegel dessen, was ist. Für mich eine der effektivsten Methoden, seinem Selbst näher zu kommen.
Sabine: Du bist kürzlich mit dem YOMA Studio in Bremen umgezogen. Wofür steht der Name YOMA und was zeichnet das Studio aus deiner Sicht besonders aus?
Marcell: YOMA steht für Yoga und Massage. Ich habe mir von Anfang an gesagt, dass ich einen Ort schaffen möchte, an dem Yoga auf höchstem Niveau angeboten wird. Durch die Thaimassage habe ich die Möglichkeit, den Menschen, die zu mir kommen einen passiven Ausgleich zu ihrem Alltag zu bieten. Mein Ziel ist es, einen Ort des Austauschs zu schaffen, an dem die Leute sich ein Stück weit zu Hause fühlen und etwas für sich tun können. Durch den Umzug in die neuen Räume haben wir mehr Möglichkeiten, dies zu verwirklichen. An dieser Stelle möchte ich auch das Yoma-Team benennen, welches in den Jahren stetig gewachsen und einfach toll ist. Jeder bringt auf seine unverkennbare individuelle Art und Weise etwas mit. Ich glaube, das spürt man auch, wenn man zu uns kommt, jeder wird so angenommen wie er ist.
Sabine: Welche Kursformate unterrichtet ihr und warum hast Du dich für diese entschieden?
Marcell: Als Schwerpunkt bieten wir Ashtanga Yoga Innovation® an. Mit AYInnovation® können sowohl Einsteiger als auch Fortgeschrittene üben, dann meist im Mysore Style. Des weiteren bieten wir INSPYA Klassen an. Es sind im Grunde Vinyasa-Klassen, in denen ein Schwerpunkt gesetzt wird.
YOMA Groove ist eine spielerische Art, die Woche ausklingen zu lassen. Es ist eine intensive Vinyasa Klasse mit Musik.
Nach dem Sommer wird der Kursplan erweitert und es entstehen mehr spezialisierte Kurse, wie z.B. Schwangerenyoga, Krankenkassenkurse und so weiter.. Die Planung hat gerade begonnen.
Sabine: Du bietest neben den klassischen Workshops auch Veranstaltungen zu Themen wie Gewaltfreie Kommunikation an. Siehst Du diese eher als separaten Bereich oder gibt es aus deiner Sicht eine Verbindung insbesondere auch zum Ashtanga Yoga?
Marcell: Nichts ist separat. Gewaltfreie Kommunikation (GFK) ist gelebtes Ahimsa. Es macht die Philosophie hinter dem Ashtanga, also dem achtgliedrigen Pfad von Patanjali, sehr praktikabel und gibt einen guten Einstieg in diese Konzepte. Ich empfinde es als wahre Bereicherung, auch neben der Yogamatte diesen Bezug zum Yoga anbieten zu können. David Ginati ist ein ausgezeichneter Lehrer, der bei Marshall Rosenberg, dem Gründer der GFK, lernte.
Sabine: Kannst Du uns vielleicht ein oder zwei Beispiele geben, wie sich solche unterschiedlichen Konzepte integrieren lassen und warum dies aus deiner Sicht sinnvoll ist?
Marcell: Alles was im YOMA angeboten wird, sollte einen Bezug zum Yoga haben. Auch wenn dies auf den ersten Blick nicht so erscheint, bietet zum Beispiel die GFK einen sehr praktischen Einstieg in die Yogaphilosophie. Yoga wird oft auf die Asanapraxis reduziert und sobald man von der Matte runter ist, geht der Alltag wie gewohnt weiter. Wir konsumieren, müssen die neusten Trends mitmachen, können schwer auf tierische Produkte verzichten, streiten, versuchen einen Vorteil herauszuschlagen, die Liste ist endlos.
Ahiṁsā (Gewaltfreiheit) ist das erste der Yamās und Niyamās (Umgang mit sich und seiner Umwelt). Es steht somit ganz am Anfang des Ashtanga Weges nach Patanjali. Ich sehe oft Menschen, die nicht sonderlich gewaltfrei mit sich auf ihrer Yogamatte umgehen oder durchs Leben gehen. Schaut man sich die folgenden Yamās wie Asteya (Nichtstehlen) oder Satya (Wahrheit) an, sind diese auch eine Form der Gewaltfreiheit. Andersherum empfinde ich es als aggressive Handlung, wenn jemand lügt oder stiehlt. Entwickelt man also ein tiefgreifendes Empfinden für Ahiṁsā und handelt entsprechend, entstehen optimale Bedingungen für den Umgang mit sich und seiner Umwelt. Die folgenden Schritte des Ashtanga Weges gedeihen somit auf einer soliden Basis und können sich optimal entwickeln.
Sabine: Das YOMA ist eines der ersten Ausbildungsstudios für die AYI® Inspired Ausbildung, die Du in Bremen gemeinsam mit Ronald Steiner und Eberhard Bärr unterrichtest. Was ist Dir dabei besonders wichtig bzw. was möchtest Du Deinen Schülern vermitteln?
Marcell: Ich habe den Anspruch, im YOMA kompetente Yogalehrer auszubilden. Wir freuen uns Teil des AYInnovation® Ausbildungssystems zu sein. Ronald Steiner unterrichtet schwerpunktmäßig Alignment, Anatomie und Yogatherapie. Mit Eberhard Bärr konnten wir jemanden für uns gewinnen, der die Philosophie lebt und die besondere Fähigkeit hat, diese auf undogmatische Art und Weise zu vermitteln.
Die Teilnehmer sollen eine solide Basis bekommen. Das bedeutet, gleichermaßen den Einblick in die Praxis sowie die Philosophie zu erhalten, mit dem Ziel, diese dann entsprechend modifizieren und bei sich und anderen anwenden zu können. Egal, wie die Weiterentwicklung sein wird, ob in der Ashtanga Tradition oder einem anderen System. Das Fundament ist solide, wie bei einem gut gebauten Haus, egal wie sich zukünftig bei den Individuen, im übertragenen Sinn, die Anzahl der Stockwerke, Fenster oder Räume gestalten wird. Ronald, Eberhard und das gesamte Ausbilderteam sind dafür die perfekten Lehrer, die auf einen so fundierten Wissensschatz zurückgreifen und diesen hoch komplexen Inhalt auf so verständliche Art und Weise den Schülern vermitteln.
Eine weiteres wichtiges Modul in unserer Ausbildung ist die Intensivwoche mit Thai-Yoga-Massage (TYM). Mit Hilfe der TYM besteht die Möglichkeit zu lernen, wie man einen anderen Menschen mit Respekt und Sicherheit berührt und dies während des Unterrichts in seinen Hilfestellungen anwenden kann. Gerade im Ashtanga hat man nur fünf Atemzüge Zeit, da bleibt nicht viel Raum zum Erklären und Vertrauen aufzubauen. Durch die TYM wird dies mit viel Freude gelernt und die Angst davor, jemanden zu berühren und zu assistieren verringert sich.
Um einen praktischen Einstieg in die Philosophie zu bieten, haben wir das Modul zur Gewaltfreien Kommunikation, das ich oben schon kurz beschrieben habe, seit einem Jahr auch in die Ausbildung integriert.
Sabine: Wie sehen Deine Pläne für die Zukunft aus? Hast Du bereits weitere Projekte geplant?
Marcell: Erstmal möchte ich das neue YOMA am neuen Standort ankommen lassen. Dafür habe ich ein super Team, das mit Freude dabei ist. Es gibt so viele Ideen und wir versuchen, diese in regelmäßigen Teamtreffen weiter zu entwickeln und entsprechend umzusetzen. Dafür greife ich auf die unterschiedlichen Kompetenzen der Teammitglieder zurück. Man kann gespannt sein, was da noch so kommt.
Sabine: Vielen Dank für das Interview – wir sind schon gespannt auf die neuen Ideen und das, was sich noch alles entwickelt!