Sabine: Anna, Du unterrichtest bereits seit 1974 Yoga und hast Dir als Autorin zahlreicher Bücher nicht zuletzt einen Namen als Expertin für Yogaphilosophie gemacht. War die Philosophie ein Aspekt, mit dem Du Dich bereits von Anfang sehr intensiv auseinandergesetzt hast oder kam dieses Interesse erst später hinzu?
Anna: Als ich anfing, Yoga zu unterrichten, habe ich bereits Philosophie an der FU Berlin studiert, allerdings moderne Philosophie (Kant, Hegel, Frankfurter Schule). Die indische Philosophie erschien mir zuerst außerordentlich undurchsichtig und extrem komplex. Sie war meinen Denkgewohnheiten vollkommen fremd und niemand erklärte sie mir. Ich las zwar mit großen Interesse Mircea Eliade und Heinrich Zimmer, aber lange schien die Philosophie des Yoga keinerlei Bedeutung für mein alltägliches Leben zu haben.
Erst nachdem ich von mehreren guten Lehrern (z.B. Desikachar, Gerard Blitz, später Boris Tatzky) Erläuterungen zu den Quellentexten bekam, war mein Interesse geweckt. Es hat mich seitdem nie mehr verlassen und begleitet mich mit manchen Gedanken und Konzepten auf Schritt und Tritt.
Sabine: Wenn man sich das aktuelle Angebot an Yogastunden anschaut, bekommt man den Eindruck, dass gerade in Studios, die nicht ausschließlich auf Yoga spezialisiert sind, vor allem die sportliche Komponente im Vordergrund steht. Philosophie wird dagegen gar nicht oder wenn überhaupt nur ganz am Rande gelehrt. War das in Deiner Anfangszeit auch der Fall?
Anna: Im Gegenteil. Am Beginn des Yoga in Deutschland (ab den 1950-70er Jahren) stand die Philosophie sogar eher im Vordergrund der Yogapraxis, wie sich unschwer aus der Gewichtung der zu dieser Zeit erschienenen Bücher ersehen lässt.
Dann kam die Aerobic- und Fitnesswelle, die allmählich in den Yoga „reinschwappte“. Die Struktur der TeilnehmerInnen in den Yogakursen veränderte sich: Die Teilnehmerinnen wurden jünger, fitter und wollten vor allem auch etwas für ihre Fitness tun. Entsprechend wurden dann die Yogastile dynamischer, schneller und fordernder. Heute unterrichte ich immer wieder Yoga-Philosophie in Schulen, deren Unterrichtsstile eher dynamisch und fordernd sind, und stoße oft auf sehr großes Interesse.
Sabine: Ich gehe davon aus, dass Du bestimmte Texte über die Jahre hinweg immer und immer wieder gelesen hast. Hat sich dabei Deine Sicht auf bestimmte Aspekte verändert? Wenn ja, gibt es ein Beispiel, bei welchem Text das bei Dir in besonderem Maße der Fall war?
Anna: Das ist auf jeden Fall so. Seit dem letzten Jahr bin ich in einer langjährigen Weiterbildung bei Sriram, in der wir gemeinsam die Quellentexte Yoga Sutra, Bhagavadgita und Hatha Yoga Pradipika lesen und Sriram sie uns erläutert. Das wirft mich oft ziemlich stark aus den Sichtweisen und Interpretationen heraus, an die ich mich gewöhnt und in denen ich mich eingerichtet hatte. Das gefällt mir sehr und lädt mich ein, die Quellentexte mal wieder neu zu durchdenken.
Sabine: Hat diese veränderte Sichtweise auch Auswirkungen auf Deinen Unterricht? Lehrst Du heute bestimmte Dinge anders als Du das früher getan hast?
Anna: Ja. Ich beziehe die Yoga-Philosophie erstens viel stärker in meinen Unterricht ein und zweitens gehört eine Reflexion zu einem Quellentext immer mit dazu. Insgesamt unterrichte ich heute viel lieber Yoga-Philosophie als Asanas.
Sabine: Hast Du einen Tipp, wie ich als Lehrer meinen Schülern eine solche Neuerung vermittle? Muss ich zugeben, dass ich mich früher schlichtweg getäuscht habe und jetzt sozusagen „das Richtige“ unterrichte? Oder gibt es DIE eine richtige Sichtweise manchmal vielleicht gar nicht?
Anna: Manchmal muss ich zugeben, dass ich mich getäuscht habe oder dass ich aus Unkenntnis eine Sichtweise vertreten habe, die heute nicht mehr zu vertreten ist oder (und das gilt ganz grundsätzlich), dass es mir an Wissen, Einsicht und Verständnis mangelt.
Ob es DIE richtige Sichtweise gibt, wage ich zu bezweifeln. Schließlich sind unsere Wahrnehmungen und geistigen Aktivitäten (Gefühle / Gedanken) doch sehr stark durch unsere Erziehung geprägt (also durch unsere Samskaras). Sie formen unsere Weltsicht, unsere Ansichten und Meinungen und damit unser Denken und Erleben. Da jeder Mensch andere Prägungen hat, muss folglich auch jeder Mensch die Welt ganz auf der Grundlage dieser Erfahrungen erleben und bewerten.
Sabine: Bei Deinen Büchern hast Du teilweise auch mit anderen Autoren zusammengearbeitet – darunter etwa Ronald Steiner, der über die Jahre hinweg mit Ashtanga Yoga Innovation sein eigenes Konzept entwickelt hat. Gibt es im Entstehungsprozess eines gemeinsamen Buchs, gerade wenn zwei Experten aus einem ähnlichen Bereich aufeinandertreffen, mitunter auch Momente, in denen der andere einen bestimmten Punkt ganz anders auslegt? Und man sich selbst vielleicht nur denkt „so können wir das aber auf keinen Fall schreiben?“. Gerade bei den sehr dichten philosophischen Texten gibt es mitunter ja viel Raum zur Interpretation…
Anna: Das geschieht durchaus. Meistens ließ und lässt sich das aber durch intensive Gespräche mit der Lektorin klären.
Yoga-Glück
Neue Erkenntnisse aus der Neurobiologie, 10 Übungsreihen mit Happinessfaktor, mind & soul, Mit 2 CDs
Trökes, Anna/Knothe, Bettina
Gräfe und Unzer
ISBN/EAN: 9783833848155
Sabine: Eines Deiner neusten Bücher trägt den wundervollen Titel „Yoga-Glück“. Dazu eine etwas provokante Frage: Macht Yoga glücklich?
Anna: Wir können in der Tat unsere Yogapraxis so gestalten, dass sie uns Erfahrungen von Glück im Körper, aber auch im Geist ermöglicht. Auch ein entsprechender Fokus in der Praxis (z.B. Dankbarkeit, Verbundenheit, Kraft) kann helfen, dass uns eine Yogapraxis tief und nachhaltig beglücken kann.
Sabine: Ich kann mir gut vorstellen, dass Yoga glücklich macht, wenn ich ohnehin ein Mensch bin, der insgesamt sehr zufrieden und ausgeglichen ist und grundsätzlich in sich ruht. Kann Yoga auch glücklich machen, wenn ich aktuell vielleicht gar nicht glücklich bin – sei es mit mir selbst oder mit meiner Umwelt?
Anna: Die Praxis wirkt dann wie ein Puffer, denn ich erfahre in ihr auf jeden Fall Selbstwirksamkeit und Selbstermächtigung. Wenn ich mich nicht wohl fühle und einfach nur da sitze und hoffe, dass dieses Unwohlsein irgendwie vorüber geht oder dass mich jemand (oder etwas anderes) daraus erlöst, dann bleibe ich in einer Opferhaltung. Wenn ich dagegen auf die Matte gehe und übe, dann habe ich mich selbst ermächtigt, mich um mein Wohlbefinden zu kümmern und damit die Verantwortung dafür zu mir zurück genommen. Und allein dieses Gefühl, dass ich mich um mich selber kümmern kann, ist schon hilfreich und tut uns gut.
Sabine: Du stellst in Deinem Buch neben einer Reihe von theoretisch-philosophischen Ansätzen auch einige Übungssequenzen vor: Wie viel Vorwissen oder Anleitung brauche ich, um diese ausführen zu können? Und wie viel Zeit muss ich pro Tag/pro Woche/pro Monat investieren, damit wirklich eine Veränderung eintritt?
Anna: Es braucht wenig Vorwissen, um mit der Unterstützung der beiden CDs, die dem Buch beigefügt sind, die Yoga-Sequenzen zu üben. Da es dabei vor allem um das innere Erleben geht, stehen Aspekte wie Alignment und Korrektur nicht so stark im Vordergrund wie bei einer reinen Asana-Praxis.
Neueste Forschungen belegen: Die Entfaltung der Verbundenheit mit dem inneren Herzen fördert die Gesundheit des körperlichen Herzens!
Trökes, Anna
Barth, Otto Wilhelm,
Broschiert 304 Seiten
ISBN: 9783426292648
Und genau wie im Ashtanga Yoga sollte ich mich einer solchen Übungspraxis einige Wochen widmen, so dass mein Gehirn zum einen merkt, was es da angeboten bekommt, und es sich zum anderen entsprechend neu strukturieren kann. Wenn Dich ein bestimmter Aspekt des Glücksempfindens besonders interessiert, wäre es sinnvoll, dass Du ihn mindestens achtWochen zum Fokus Deiner Praxis machst. Dabei ist es dann eigentlich (fast) egal, ob Du meine Übungssequenzen nimmst oder die Abfolgen des Ashtanga Yogas.
Sabine: Soweit ich weiß arbeitest Du bereits an Deinem nächsten Projekt. Worauf dürfen wir gespannt sein?
Anna: Ich habe gerade das Manuskript zu dem sehr schönen und berührenden Thema „Yoga der Verbundenheit - Die Kraft des Herzens wahrnehmen und entfalten“ beendet. Ich beschreibe in ihm die Bedeutung des Herzens im Yoga, in dem das Herz als der Sitz unserer tiefsten Identität gesehen wird. Wenn wir uns selbst meinen, weisen wir auf unser Herz und nicht auf den Kopf oder Bauch. In diesem Sinne ist das Herz unsere Mitte.
Die Entfaltung zentraler Eigenschaften wie Güte, Wohlwollen oder Mitfreude haben im Yoga eine lange Tradition. Dafür habe ich die (nach wissenschaftlicher Meinung) wirksamsten Meditationen, Atem- und Körperübungen zusammengestellt und auf der CD eingesprochen. Auch für mich sind diese Meditationen sehr berührend und aktivieren die Herzenergie.
Aktuell beginne ich gerade mit einem Sachbuch „Yoga bei Depression“, das im Herbst im Herder Verlag (ebenfalls zusammen mit einer Übungs-CD) erscheinen soll.
Sabine: Das klingt nach sehr spannenden und wertvollen Projekten! Viel Erfolg damit – und vielleicht bis zu einer Fortsetzung unseres „Glücks-Gesprächs“, dann unter dem Titel Herzensenergie. Ich würde mich freuen!
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