Sabine: Andrew, Du hast gemeinsam mit Deinem Team vor kurzem das Projekt “Mysore Yoga Traditions: The Film” nun endlich zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht. Kannst Du kurz erklären, worum genau es dabei ging?
Andrew: Das Projekt “Mysore Yoga Traditions” ist absolut einzigartig. Und zwar aus folgendem Grund: Es ist darin zum ersten Mal gelungen, einen direkten Einblick in die Geschichte und Philosophie des Yoga in Mysore zu vermitteln. Dabei kommen die Vertreter dieser Tradition, also etwa Sanskrit-Gelehrte und Philosophie-Experten, selbst zu Wort. Auf diese Weise bietet sich eine ungefilterte Perspektive auf ihre Sicht des Yoga. Besonders gefreut hat uns, dass wir sogar die Gelegenheit hatten, den Direktor des Sanskrit College und die Queen von Mysore zu interviewen. Dazu kamen Interviews mit den aktuell anerkanntesten und einflussreichsten Vertreter aus dem Bereich der Yoga-Philosophie. Sie haben ebenfalls mit uns über die Geschichte des Yoga und seine philosophischen Grundlagen gesprochen.
Auf den ersten Blick könnte man natürlich meinen, dass es sich damit trotzdem einfach nur um einen weiteren Beitrag zum Thema (Ashtanga) Yoga handelt. Und in der Tat ist es so, dass im Westen bereits sehr viel über die Geschichte und Philosophie des Yoga wie er in Mysore gelehrt und praktiziert wird, geschrieben worden ist. Allerdings stießen einige der dabei verbreiteten Thesen in Mysore durchaus auf Widerstand und Kritik. Deshalb war es unser Anliegen, direkt vor Ort herauszufinden, wie diese Yoga-Tradition, die heute auf der ganzen Welt praktiziert und gelehrt wird, an ihrem Entstehungsort gesehen wird. Das war aus meiner Sicht auch das Spannende an diesem Projekt.
Dazu kommen die wirklich einmaligen Gelegenheiten zu Gesprächen, die sich uns letztendlich vor Ort geboten haben. Die Königsfamilie von Mysore hat sich beispielsweise über Jahrzehnte hinweg überhaupt nicht öffentlich zu diesem Thema geäußert. Wir durften schließlich nicht nur mit ihren Vertretern sprechen, sondern die Aussagen zur Yoga-Tradition und Philosophie zusätzlich für unseren Film festhalten. Das ist wirklich einzigartig.
Der Kontakt zur Königsfamilie war noch aus einem weiteren Grund etwas ganz Besonderes: Zwar gibt es Yoga als Philosophie und Form der Praxis bereits seit unglaublich langer Zeit. Was die Tradition der Yoga-Asana in Mysore betrifft, lässt sich diese jedoch direkt auf die Königsfamilie zurückführen. Sie hatte einen ganz maßgeblichen Anteil bei der Entwicklung. Genau dieser Teil der Praxis hatte weltweit dann auch einen so unglaublich großen Einfluss auf die Entwicklung des modernen Ashtanga Yoga wie wir ihn heute auch im Westen kennen.
Sabine: Ich hatte das Glück, dass ich das Projekt bereits sehr lange mitverfolgen durfte. Auf diese Weise habe ich auch die diversen Höhen und Tiefen mitbekommen – streckenweise hat es sich um einen wirklich nervenaufreibenden Prozess gehandelt. Was hat Dir die Energie gegeben, trotz aller Rückschläge doch immer wieder weiter zu machen und nicht aufzugeben?
Andrew: Es war leider wirklich so, dass wir nur sehr wenig finanzielle Unterstützung für unser Projekt bekommen konnten. Dazu kommt, dass ich niemand bin, der andere Leute gerne um Geld bittet. Dennoch haben wir es irgendwie geschafft - auch wenn das für mich bedeutet hat, dass ich buchstäblich mein letztes Geld für das Projekt gegeben habe. Der größte Teil der Ausgaben wurde schlussendlich vom Ashtanga Yoga Studio getragen. Ich habe den Film gemacht, weil ich das Gefühl hatte, dass das einfach etwas war, das ich tun musste.
Es gab schon immer eine ganze Reihe von Fragen zur Tradition des Ashtanga Vinyasa Yoga bzw. Yoga im Allgemeinen, die mich über Jahre hinweg umgetrieben haben. Für mich hat es sich dann angefühlt, als ob uns die Shakti von Mysore geschenkt worden wäre. Für mich war diese Gabe zugleich jedoch mit einem enormen Gefühl der Verpflichtung verbunden. Ich wollte die Ideen und Ansichten, die ich vor Ort direkt erfahren dürfte, bündeln und der ganzen Welt zugänglich machen. Zugegebenermaßen war es dann auch so, dass ich während dieser Zeit in einer Art Traumwelt zwischen Oklahoma und Mysore gelebt habe. Ich war so in das Projekt vertieft, dass ich, abgesehen von den Schülern in meinen Yogastunden, zu kaum jemanden mehr Kontakt hatte.
Sabine: Neben der Entstehungsgeschichte würden mich selbst ehrlich gesagt auch ein paar ganz praktische Aspekte interessieren. Also etwa: Wie lang warst Du letztendlich mit Deinem Team in Indien? Und wie war es, dort einen Film zu produzieren? Ich gehe davon aus, dass euer Set nicht unbedingt mit der Glamour-Welt eines Hollywood Blockbusters vergleichbar war…
Andrew: Wir haben insgesamt fast einen Monat lang vor Ort in Mysore gedreht und dort die Aufnahmen für die einzelnen Interviews gemacht. Hier geht einmal mehr ein ganz besonderer Dank an Kanchen Mala. Sie war diejenige, die die meisten Interviews organisiert hat. Ohne ihre Hilfe hätten wir es wirklich niemals geschafft. Überraschenderweise ergaben sich manche Dinge dann allerdings auch fast wie von selbst. Es sieht so aus, als ob es das Schicksal hier wirklich gut mit uns gemeint hätte. Und das mehr als einmal…
Außerdem gab es eine Reihe von überraschenden Erlebnissen und Begegnungen. Als wir zum Beispiel zu unserem ersten Treffen mit Sri Bhashyam Iyengar, dem Direktor des Maharaja Sanskrit College, kamen, begrüßte uns ein Mann, der eher wie ein wilder Yogi als ein geschniegelter Akademiker aussah. Er war gerade dabei, eine Puja Zeremonie durchzuführen. Überraschenderweise forderte mich auf, zu ihm zu kommen und Ghee in das heilige Feuer zu gießen. Während der Zeremonie war es unglaublich laut und voll und ich hatte wirklich Mühe zu verstehen, was genau vor sich ging. Aber natürlich tat ich, worum er mich gebeten hatte. Ich goss das Ghee ins Feuer goss. Daraufhin bewegte sich plötzlich die kleine Figur einer Gottheit, die in einer Schale mit Wasser schwamm, auf mich zu. In diesem Moment wurde es schlagartig im ganzen Raum totenstill. Sri Bhashyam Iyengar legte sich die Hand auf die Brust und sprach einige Worte auf Sanskrit. Dieses Ereignis wurde als Omen und Zeichen unserer Aufrichtigkeit gesehen.
Wohl nicht zuletzt deshalb hatten wir von diesem Zeitpunkt an Zugang zum Maharaja Sanskrit College, bekamen Zugriff auf die uralten Manuskripten, die dort aufbewahrt werden, und konnten selbst mit den hochrangigsten Professoren sprechen. Außerdem hatten wir sogar die Ehre, dass Sri Bhashyam Iyengar für uns einen offiziellen Vortrag hielt. Darin sprach er über die Asana-Praxis an seinem College. Außerdem erklärte er, welchen Einfluss Sri Krishnamacharya während der Jahre, in denen er dort unterrichtete, auf diese Praxis hatte.
Ich muss allerdings sagen, dass es anfangs eine echte Herausforderung war, die hochrangigen Sanskrit-Gelehrten zu interviewen. Mit der Zeit wurde es jedoch zunehmend leichter. Gleichzeitig machten sich hier die Jahre bezahlt, die ich mit meinem Guruji, Sri BNS Iyengar, verbracht habe. Rückblickend haben sie mich darauf vorbereitet, diese Interviews überhaupt führen zu können: Es gibt eine ganze Reihe von Verhaltensvorschriften sowie eine ganz bestimmte Etikette, die eingehalten werden muss, wenn man mit diesen Leuten erfolgreich kommunizieren möchte. Durch die viele Zeit, die ich bei Iyengar verbracht habe, war ich dafür sensibilisiert.
Sabine: Das führt mich gleich zu meiner nächsten Frage. Du hast gerade die Zeit bei Sri BNS Iyengar erwähnt. Durch Deine zahlreichen Aufenthalte bei ihm kanntest Du Dich in Mysore bereits ziemlich gut aus. Zudem warst Du auch mit der dortigen Tradition und Philosophie vertraut. Gab es für Dich während der Arbeit am Film dennoch den ein oder anderen Aha-Moment?
Andrew: Ja, den gab es in der Tat. Ein Beispiel: Guruji benutzte immer das Wort “wir” wenn er über seine Studien oder ähnliches sprach. Natürlich habe ich mich immer gefragt, wen oder was genau er damit meinte. Er hat immer den Eindruck vermittelt, dass der Yoga von einer Gemeinschaft von Gelehrten kam. Im Rahmen des Filmprojekts hatten wir dann die Gelegenheit, genau diese Gemeinschaft direkt zu erleben und mit den einzelnen Vertretern zu sprechen. Das war eine unglaublich aufschlussreiche und tiefgehende Erfahrung. Ich fand es besonders spannend zu sehen, dass diese hochgebildeten und wirklich brillanten Menschen zum Teil ganz unterschiedliche Ansichten zum Thema Yoga hatten.
Vielleicht noch überraschender war es jedoch zu erleben, wie offen, modern, großzügig und warmherzig sie alle waren. Keiner von ihnen wollte irgendeine Art von Gegenleistung von uns. Das Einzige, worum sie uns gebeten haben, war unsere Hilfe beim Erhalt der uralten Manuskripte. Diese Schriften enthalten einen unglaublichen Wissensschatz zum Thema Yoga. Leider fehlt oft das nötige Geld, um sie entsprechend zu bewahren. Wir hoffen deshalb sehr, dass unser Film die Aufmerksamkeit auf dieses Problem lenkt. Vielleicht können wir so ein Stück weit dazu beitragen, dass dieses Kulturgut nicht verloren geht.
Sabine: Du hattest ganz offensichtlich Zugang zu einer ganzen Reihe von Orten, an die man gewöhnlich sonst nicht kommt. Hinzu kommen Begegnungen mit vielen spannenden Menschen. Von daher gehe ich davon aus, dass Du im Film nicht DIE eine Lieblingsszene hast. Dennoch würde mich interessieren, ob es rückblickend trotzdem einen Moment gibt, an den Du Dich besonders gerne erinnerst.
Andrew: Du hast recht. Es gibt einfach viel zu viele spannende Erinnerungen, von denen es jede einzelne wert wäre, sie hier zu erwähnen. Trotzdem ist mir ein Moment ganz besonders im Gedächtnis geblieben. In unserem Interview haben wir Gangadhar Bhat die Frage gestellt, wer alles von Sri Krishnamacharya ausgebildet worden ist bzw. wer nicht. Er ist daraufhin so unglaublich wütend geworden, dass wir zunächst alle erst einmal wie versteinert waren.
In diesem Moment ist mir klar geworden, wie sehr ihm die Idee widerstrebt, dass es so etwas wie eine „Ahnenreihe“ gibt, in der diejenigen besonders hervorgehoben werden, die bei einem bestimmten Lehrer gelernt haben. Er sagte anschließend zu mir: „Ein Lehrer ist wie ein Löffel. Sobald Du das Essen im Mund hast, legst Du ihn zur Seite.“ Deshalb ist ein Lehrer auch nicht mehr oder weniger glaubwürdig, nur weil er bei einem bestimmten anderen Lehrer seine Ausbildung gemacht hat. Was zählt, ist das, was wir wissen. Oder, noch viel wichtiger, wie wir das, was wir wissen, anwenden.
Ich habe lange über diese Aussage nachgedacht. Ganz oft läuft es ja so, dass Leute herausstellen, bei wem sie gelernt haben. Oder, nur weil sie Schüler von Sri Sri XYZ waren, für sich in Anspruch nehmen, authentischen Yoga nach einer bestimmten Tradition und Philosophie zu vermitteln. Ich denke heute, dass es vielleicht authentischer wäre zu sagen: „Ich bin jemand, der Yoga liebt und an die Kraft des Yoga glaubt. Deshalb unterrichte ich ihn in meinem Umfeld so gut wie ich es irgendwie kann. Gleichzeitig bin ich meinen Lehrern dankbar für all ihre Zeit, ihre Geduld und das Wissen, das sie mir vermittelt haben. Wenn ich in meinem Tun erfolgreich bin, dann nur durch die exzellente Ausbildung, die ich durch meine Lehrer erfahren durfte…“
Mir scheint es mittlerweile so, als ob diese Haltung viel besser zu der eigentlichen Philosophie des Mysore Yoga Parampara passt. Und ich bin wirklich all denjenigen unglaublich dankbar, die sich die Zeit genommen haben, mit uns über ihre Sicht auf den Yoga, seine Tradition und Philosophie zu sprechen. Dies nicht zuletzt deshalb, weil bei den Gesprächen immer wieder deutlich geworden ist, wie sehr all diejenigen, mit denen wir reden durften, diese Tradition wertschätzen und welch hohen Stellenwert sie ihr einräumen.
Sabine: Vielen Dank für diesen wundervollen Schlussgedanken, Andrew. Dem kann ich nichts mehr hinzufügen – außer umgekehrt auch Dir noch einmal herzlich dafür zu danken, dass Du Dir die Zeit genommen hast, Deine Erlebnisse und Erfahrungen hier mit uns zu teilen! Ich freue mich schon darauf, unsere Unterhaltung zum Thema Tradition und Yoga-Philosophie bei Gelegenheit weiter zu führen :-)
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