Den Kontakt zum eigenen Körper wieder finden – Joachim Pfahl über die Einsatzmöglichkeiten von Yoga als Behandlungsmethode in der Traumatherapie.

Yogatherapie

Sabine: Herr Pfahl, Sie forschen bereits seit sehr langer Zeit zum Thema Trauma. Gleichzeitig haben Sie in den unterschiedlichsten Bereichen und Umgebungen traumatisierte Menschen betreut, darunter auch in Kasernen und Gefängnisse. Können Sie als erstes erklären, was genau bei einem Trauma geschieht und wie sich diese Erfahrung anschließend auf das Leben der Betroffenen auswirkt?

Joachim Pfahl: Es gäbe weit mehr zu sagen als das, was sich hier in einem oder zwei Sätzen zusammen fassen lässt. Ganz generell kann man jedoch folgendes sagen: Ein Ereignis oder eine Lebenssituation hat durch eine lebensbedrohende oder als wiederholt lebensbedrohend wahrgenommene Situation zu einer Traumatisierung geführt. Diese wiederum führt zu einer Abspaltung von Gefühlen und Empfindungen. Einer Abspaltung vom Körper also. Ursprünglich ist das Abspalten von Gefühlen und (Schmerz)empfindungen in der Traumatisierung ein Schutzmechanismus und in der akuten Situation durchaus sinnvoll. Das Problem liegt darin, dass dieser Schutzmechanismus auch später noch beibehalten wird, selbst wenn die gegenwärtige Situation nicht mehr diese Gefahr birgt. Mögliche Auswirkungen von Traumata sind Dissoziation, also das Auseinanderfallen von Denk-, Handlungs- oder Verhaltensabläufe in weitgehend unkontrollierte Teile, Panik und Angstattacken sowie Depression. Zudem treten viele der als psychosomatisch bekannten Phänomene als Folgestörung auf.

Sabine: Sie sprechen von einer Abspaltung vom Körper, einem Kontakt, der verloren gegangen ist und erst wieder hergestellt werden muss. Wie gelingt es, diesen Zugang erneut zu eröffnen? Kann ich diesen Kontakt zum Körper allein durch meine rationalen Kräfte und Fähigkeiten wieder herstellen oder müssen, vielleicht auch über andere Kanäle, zusätzliche Ebenen angesprochen werden?

Joachim Pfahl: Ja, das ist der Fall. Wir laden durch verschiedene Ansätze ein, die Spürfähigkeit entweder überhaupt wieder herzustellen oder sie als fundamentalen Ansatz zu verstehen, den Körper wieder bewohnen zu können oder zu wollen. Den Körper als sicheren Ort wieder zu entdecken. Der Begriff der Interozeption beschreibt diese Fähigkeit innerer körperlicher Spürfähigkeit und ist ein zentraler Ansatz im traumasensiblen Yoga.

Sabine: Das, was Sie beschreiben, legt nahe, dass auch die Trauma-Therapie entsprechend angepasst werden muss. Meine erste Vermutung wäre, dass eine reine Gesprächstherapie nicht ausreichend sein dürfte, da sie sozusagen den Kern des Problems nicht in seiner Gänze erreicht. Würden Sie dem zustimmen? 

Joachim Pfahl:  Es entwickelt sich aktuell ein wachsendes Verständnis dafür, dass ein körperorientierter Ansatz mit in die Therapie integriert werden sollte, da das Trauma eine Körperinformation ist und damit im Körpergedächtnis verankert ist. Peter Levine, Bessel van der Kolk und andere weisen schon lange darauf hin und belegen ihre Erkenntnisse mit wissenschaftlichen Studien . (Studien auf NCBI:   PMC4316402 und PMC3181584 )

Sabine: Sie selbst setzen in Ihren Therapien ebenfalls Yoga ein. Handelt es sich dabei eher um eine begleitende bzw. unterstützende Maßnahme oder ist der Yoga tatsächlich integraler Teil der Behandlung?

Joachim Pfahl: Sowohl als auch. Yoga kann durchaus eine eigenständige Therapie sein, etwa so wie sie im traumasensiblen Yoga (TSY ingradual®) heutzutage formuliert und definiert ist. Beim TSY ingradual® haben wir es uns zum Ziel gemacht, die heilsamen Wirkungen eines achtsamen, sensiblen Yoga für traumatisierte Menschen bekannt zu machen und zu nutzen. Durch Entspannung, die neben Kräftigung und Dehnung ein integraler Bestandteil im Yoga ist, können alte Wunden aufbrechen, die im Alltagsstress gut verdrängt wurden. Das Wissen um die im Körpergedächtnis gespeicherten Erfahrungen führte zu einer trauma-adaptierten Form, dem traumasensiblen Yoga. Im Wiederauftauchen verletzter Anteile während der Verlebendigung durch Yoga liegt die große Chance, verdrängte und dissoziierte Anteile wieder erfahrbar zu machen und diese durch einen achtsamen Umgang Schritt für Schritt zu integrieren. In dieser Form eingesetzt ist traumasensibles Yoga somit eine eigenständige Form der Therapie. Es kann wie gesagt aber auch eine begleitende Maßnahme sein, wie z. B. durch Yogalehrer, die über eine Fortbildung für traumasensibles Yoga qualifiziert sind, oder Trauma-Yoga-Therapeuten, die zusammen mit Psychologen oder Psychotherapeuten zusammenarbeiten.

 Das Basisbuch zur Yoga-Traumatherapie mit vielen Übungen
erscheint am 8.4.17 bei Klett Cotta.

1. Aufl. 2017, 248 Seiten,
broschiert, mit zahlreichen Abbildungen
ISBN: 978-3-608-89181-2

www.klett-cotta.de

Sabine: Wie sind die Reaktionen, wenn Sie Yoga als Therapieform anbieten? Gerade in Umgebungen wie Gefängnissen oder Kasernen könnte ich mir gut vorstellen, dass die Bereitschaft, sich auf etwas so „Softes“ oder „Unmännliches“ einzulassen, zumindest am Anfang eher gering ist.

Joachim Pfahl: Das mag für den allerersten Anfang zutreffen. Doch besonders in geschlossenen Gesellschaften wie einem Gefängnis oder einer Kaserne wird auch im Umkehrschluss alles sehr schnell kommuniziert. Wenn der erste Soldat wieder schlafen kann oder die Panikattacken verschwinden, wird eine “ Mädchengymnastik“ schnell umtituliert und findet natürlichen Respekt. Das ist meine Erfahrung.

Sabine: Als Yogalehrer bewegen wir uns im Umgang mit traumatisierten Menschen in einem sehr sensiblen Bereich. Wie bzw. wo können wir lernen, wie wir Yoga hier angemessen einsetzen?

Joachim Pfahl: Wir sehen, dass die verschiedenen Pioniere, die Yoga und/oder Meditation bei Traumatisierten einsetzen, zu ähnlichen oder gleichen Ergebnissen kommen und diese zunehmend in Leitlinien für traumasensibles Yoga (im amerikanischen/englischen Sprachgebrauch „traumasensitive yoga“) definieren. Diese Sensibilisierung findet in Fortbildungen für traumasensibles Yoga statt sowie in der Ausbildung zum Trauma-Yoga-Therapeuten. Zudem wird das Thema bereits jetzt auch schon in generellen Yoga-Therapeuten-Ausbildungen und deren Fortbildungen berücksichtigt.

Sabine: Inzwischen ist es glücklicherweise so, dass Yoga längst nicht mehr automatisch in die „Esoterik-Ecke“ gedrängt wird und sich ein zunehmendes Bewusstsein bezüglich der potenziell balancierenden Wirkung durchsetzt. Von daher ist es auch durchaus vorstellbar, dass ein traumatisierter Mensch zu mir als Yogalehrer in eine Stunde kommt, mich aber über seine Vorgeschichte nicht informiert. Kann es hier zu Problemen kommen, gerade in Phasen wie der Tiefenentspannung? Wenn ja, was kann ich gegebenenfalls tun oder wie kann ich unter Umständen auch ohne Vorinformation erkennen, dass möglicherweise ein Trauma vorliegt?

Joachim Pfahl: Mit dem wachsenden Bewusstsein zu diesem Thema wird es sicher mehr und mehr auch ein Teil der Yogalehrer-Ausbildung werden, mit Trigger-Situationen in Yogaklassen umzugehen. Dies ist kein Therapie-Ersatz, sondern hier geht es darum, als Yogalehrer den Umgang mit einer Trigger-Situation zu lernen und entsprechend darauf reagieren zu können. Es würde zu weit gehen, an dieser Stelle genauer darauf einzugehen und es lässt sich auch kein einfaches Patent-Rezept geben, aber grundsätzlich lässt sich dieser Umgang durchaus lernen und dann auch sinnvoll und unterstützend in eigenen Yogastunden umsetzen.

Sabine: Vielen Dank für diesen spannenden ersten Einblick in die Einsatzmöglichkeiten von traumasensiblem Yoga in der Traumatherapie! Ich bin gespannt auf die weiteren Entwicklungen und Forschungsergebnisse aus diesem Bereich und hoffe, dass wir schon bald an dieser Stelle mehr darüber berichten können.

Mehr Informationen über Traumasensibles Yoga (TSY ingradual®) Aus- und Weiterbildungen:
http://www.traumasensiblesyoga.de

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